Besser hätte VW seine Haltung nicht ausdrücken können: „Ihr PKW ist von einer Software betroffen.” Im Frühjahr 2016, als der Dieselskandal schon seit Monaten in großer Breite bekannt ist, verschickt der Wolfsburger Konzern einen Brief an alle privaten VW-Eigentümer.
Zwei Seiten in astreinem Juristendeutsch. Fünfzeilige Schachtelsätze auf dünnem Papier im Fensterkuvert. Kein Wort der Entschuldigung, keine Reue darüber, dass die Autofahrer getäuscht wurden, keine Erklärung des Ungeheuerlichen.
Mittendrin der Satz: „Ihr PKW ist von einer Software betroffen.” Böse, böse Software. Ein Neutrum. Nur Bits und Bytes, nicht fassbar. Das Höchstmaß dessen, was sich nicht zur Verantwortung ziehen lässt. Kein Wunder also, dass nach Dieselgipfel und Managergerangel nun erneut die so bequem unpersönliche Software die schmutzige Angelegenheit säubern soll, diesmal in Form eines Updates.
Julian Nida-Rümelin liefert eine Erklärung für solches Verhalten. „Verantwortungsdiffusion durch Dezentralisierung”, erkennt der Philosoph, Autor und Exminister in einem Handelsblatt-Interview. Mag sein. Doch das eigentliche Problem liegt woanders. Es fehlt an Haltung.
Haltung als Kompass
Dass die äußere, die Körperhaltung so leicht erkennbar ist, verleitet schnell dazu, Haltung als „Hacken zusammenknallen” zu missverstehen. Ein gerader Rücken drückt Beharrungsvermögen aus — aber nicht blinden Gehorsam.
Haltung ist ein Kompass. Eine Haltung ist nicht beliebig, dennoch nicht dogmatisch und natürlich nicht blind gegenüber (neuen) Tatsachen. Denn eine Haltung gebe die Richtung vor, die auf ein „ethisches Sollen” verweise, so fasst es Thomas Vasek, Chefredakteur der Philosophiezeitschrift „Hohe Luft” verständlich zusammen. Eine Einstellung zeige nur ein gewisses Verhaltensmuster, das sich der jeweiligen Situation anpasse. Eine Haltung könne man nicht sagen, sondern nur leben.
Eine moralische Grundlage also. Bestehend aus ebenso einfachen wie wichtigen ethischen Werten: Wahrhaftigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit und Integrität.
Leider greift das Muster viel zu selten, versagt zu oft. Bankenkrise, Dieselgate, Kartellgeklüngel — nur allzu billig wäre es, das Fehlen von Moral ausschließlich den Top-Managern anzulasten. Auch Kommunikation und Marketing sind in der Pflicht, Haltung zu zeigen und einzufordern. Jürgen Scharrer, Chefredakteur des Marketing-Branchenblatts „Horizont”, irrt gewaltig, wenn er versucht, seine Leser aus der Schusslinie zu nehmen: „Im Marketing und also auch im Content Marketing geht es darum, effizient im Sinne des Unternehmens zu kommunizieren — und nicht darum, die Probleme der Welt zu lösen.”
Da argumentiert Scharrer an der Herausforderung vorbei. Denn es sprechen eine Handvoll guter Gründe dafür, gerade in Kommunikation und Marketing auf Haltung zu pochen.
1. Eine Haltung führt zu Klarheit.
Die Inhalte einer Haltung zu definieren ist ein hartes Stück Arbeit. Aber auf dem Weg dorthin werden sich alle Beteiligten bisheriger Schwachstellen und vor allem ihrer gemeinsamen Ziele bewusst.
Im Content Marketing geht es eben nicht ausschließlich um eine effiziente, nachgerade willfährige Kommunikation im Sinne des Unternehmens. Es geht — verkürzt — darum, durch glaubwürdige Kommunikation eine langfristige Beziehung mit den Interessengruppen des Unternehmens aufzubauen. Diese Kommunikation folgt definierten Zielen — klaren Zielsetzungen, der Haltung eben.
2. Eine Haltung gibt Orientierung.
Sind die Ziele als Kernelement der Haltung definiert, so folgen daraus Leitbilder, Botschaften, Themen — eine Themenarchitektur also, die Leitplanken für Kommunikation und Marketing setzt.
Solche Leitplanken mit konkreten Handlungsanweisungen kennt die Wirtschaft zur Genüge. In vielen Unternehmen sorgt ein wertebasierter Code of Conduct für ein geregeltes und regelkonformes Zusammenspiel von Kunde, Zulieferer und Unternehmen.
Oder sollte es zumindest. Sonst bleibt es bei Lippenbekenntnissen; jede Kommunikation gerät in Gefahr, lächerlich zu wirken.
Auch Content Marketing an sich muss sich den Ruf nach einem Verhaltenskodex gefallen lassen. Der Vorwurf, den Hans-Peter Siebenhaar, Medienkolumnist des Handelsblatts, erhebt, wiegt schwer: Content Marketing töte den Journalismus und leiste dem politischen Populismus Vorschub.
Das ist blanker Unsinn, aber aufmerksamkeitsstark.
Das Content Marketing Forum, nach eigener Aussage Europas größter Fachverband für inhaltsgetriebene Kommunikation, hält Aussagen wie dieser eine inhaltliche Definition entgegen: „Content Marketing ist die Disziplin im Marketing, die strategische Unternehmensziele mit redaktionellen Inhalten vorantreibt. Diese Ziele entfalten auf allen eingesetzten Kanälen eine messbare Wirkung.” Das Forum gibt damit eine eindeutige Orientierung — Content Marketing ist keine Werbung, schon gar keine Schleichwerbung. Weswegen diese Definition im Grunde eine Haltung ist.
3. Haltung braucht Achtsamkeit und umgekehrt.
Leider keine Selbstläufer: Klarheit über die Ziele zu erlangen und dann Verhaltensregeln aufzustellen, die die Einhaltung der Ziele ermöglichen. Beides braucht permanente Reflexion und Achtsamkeit.
Solches Handeln kann unter die Räder geraten, wenn Gewinnmaximierung und Aktionärswohl andere Unternehmenswerte auf die Plätze verweisen. Wie sonst wäre zu erklären, dass Dieselgate in all seinen rußigen Details passieren konnte, obwohl Rupert Stadler 2012 als frisch gekürter Audi-Chef in seinem Plädoyer „Für einen ökonomischen und ethischen Neuanfang” forderte: „Der ehrbare Kaufmann muss in Wirtschaft und Gesellschaft wieder zum Leitbild für ein Miteinander von Moral und Vertrauen werden.”
Eine völlig berechtigte Forderung von Stadler.
Angesichts des Ausmaßes der Affäre wurde sie aber ziemlich offensichtlich nicht permanent eingefordert, überprüft und in das Zentrum von Handeln und Kommunikation gestellt.
Dabei ist gerade der „ehrbare Kaufmann” ein tragfähiges, historisch gewachsenes Leitbild, das auch in Geschäftsführungsverträgen verankert wird. Es steht für ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein für das eigene Unternehmen, für die Gesellschaft und für die Umwelt. Ein „ehrbarer Kaufmann” stützt sein Verhalten auf Tugenden, die den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg zum Ziel haben, ohne den Interessen der Gesellschaft entgegenzustehen. Er wirtschaftet nachhaltig.
Und: Er kommuniziert nachhaltig. Was eine wünschenswerte Ergänzung in diesen Zeiten ist, die vom digitalen Fluss der Informationen entscheidend gestaltet sind. „Konzerne”, so konstatiert die Medienbeobachterin Pia Dahlem in ihrem Traktat „Haltung: Schimäre mit Sexappeal”, „zeichnen sich in Wertedebatten eher durch Reaktion auf Trends als durch Haltung aus.” Dahlem resigniert nahezu, denn für sie erscheinen Marketing und Kommunikation heute eher als Resonanzverstärker jener Trends, die Neu- und Mehrgeschäft versprechen.
Das darf nicht passieren. Marketing und Kommunikation müssen Resonanz hervorrufen können. Zumindest bei den Themen, die in der jeweiligen Unternehmensstrategie als wichtig definiert worden sind.
4. Haltung verpflichtet
Heute gibt es mehr Journalisten in Kommunikationsabteilungen, in der PR und in Agenturen als in unabhängigen Medien. Die Entwicklung, dass Unternehmen heutzutage mehr Medien veröffentlichen als Verlage, TV- und Medienhäuser, wird sich nicht umkehren.
Zur wirtschaftlichen Macht eines Unternehmens kommt damit auch die mediale Macht. Je mehr Unternehmen sich helfen lassen, selbst Medien zu erstellen, von Agenturen, in denen Experten sitzen, die wissen, wie man mit Worten und Bildern umgeht, umso wichtiger wird es, diese Macht verantwortungsvoll handzuhaben. Unternehmen müssen ihre Werte leben, Haltung zu zeigen, Halt geben, bei der Einordnung helfen. Diese klassischjournalistische Verpflichtung ist auf die Kommunikatoren in Konzern und Content Marketing übergegangen.
Denn falsche Demokraten wie Trump, Le Pen, Erdoğan oder Orbán haben in kurzer Zeit gezeigt, wie wichtig die Existenz der vierten Gewalt ist, die neben der Exekutive, Legislative und Judikative durch Berichterstattung und öffentliche Diskussion das politische Geschehen beeinflussen kann.
Medien besitzen die Macht, Politik und Wirtschaft zu kontrollieren und Machtmissbrauch zu ahnden. Die Angehörigen der vierten Gewalt, der „Publikative”, besitzen nicht nur die Macht. Sie besitzen die Verpflichtung dazu, damit verantwortungsvoll umzugehen. Ein Journalist bleibt Journalist, auch wenn er auf die andere Seite des Schreibtischs wechselt. Wenn er für Unternehmen arbeitet. Oder in Agenturen, etwa im Content Marketing.
5. Haltung erzeugt Resonanz
Wer Inhalte beherrscht und Haltung zeigt, gibt im Marketing den Ton an. Aus integrem Content Marketing erwächst Glaubwürdigkeit, aus Glaubwürdigkeit erwächst Haltung. Haltung wird immer eine Wirkung haben.
Es ist richtiger, die Kommunikation glaubwürdig zu gestalten als authentisch. Donald Trump ist authentisch — aber ist er deswegen auch glaubwürdig?
Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut — gerade im Content Marketing. Besonders hier ist es wichtig, stets mit offenem Visier ins Feld zu ziehen. Das Marktforschungsinstitut „Heute und Morgen” hat unlängst herausgefunden, dass mehr als ein Drittel Leser negativ und ablehnend darauf reagieren, wenn erst im Nachhinein erkannt wird, dass Inhalte einen Unternehmensabsender haben, oder, schlimmer noch, blanke, bezahlte Werbung sind. Das ist eine Resonanz, die keiner will.
Gut gemeint und doch stark polarisierend war, worauf Gerald Hensel Resonanz erhielt. Noch in seiner Funktion als Executive Strategy Director Digital bei der Werbeagentur Scholz & Friends startete er die Aktion #keingeldfürrechts. Er wollte damit verhindern, dass Werbegelder an rechtsgerichtete Webseiten fließen — und erntete einen Shitstorm einzigartigen Ausmaßes. Das ist das Gute an Haltung: Man kann sie mögen oder nicht, man kann sie akzeptieren oder über sie debattieren – sie wird immer eine Reaktion auslösen.
Wahrhaftigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit und Integrität dienen sich an als Grundpfeiler jeglicher Kommunikation. Dazu gehört im Content Marketing, Ross und Reiter zu nennen — insbesondere den Auftraggeber. Die Vertreter jener Agenturen, über 100, die sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Content Marketing Forum zusammengeschlossen haben, berufen sich auf journalistische Prinzipien und journalistisches Handwerkszeug, das den Kern von gutem Content Marketing und dessen Werkzeug Storytelling ausmacht: auf Recherche, Gegenrecherche und belastbare Quellen; auf glaubwürdige Geschichten mit hohem Berichtsund Nachrichtenwert. Da gibt es keinen, der sich nicht bemühen würde, zu hinterfragen, zu bewerten, einzuordnen, gerade weil er für Unternehmen arbeitet.
Wir Journalisten im Content Marketing werden weiterhin das tun, was wir unserem Beruf, unserer Branche, unseren Kollegen und unseren Kunden schuldig sind: berichten, einordnen, bewerten. Orientierung geben. Haltung einfordern. Und für unsere Haltung einstehen.