Die neue Bundesregierung hat sich nicht nur auf dem Papier Großes vorgenommen. Die „Zeitenwende“, die Bundeskanzler Olaf Scholz als Antwort auf den von Russlands Staatspräsident Wladimir Putin angezettelten Krieg in der Ukraine ausgerufen hat, katapultiert das Thema Versorgungssicherheit auf der politischen Agenda ganz nach oben. Die Neuausrichtung der nationalen Energie- und Klimapolitik wird durch die jüngsten Erschütterungen endgültig zu einem Vorhaben von wahrhaft historischer Dimension. Es ist wohl keine Übertreibung festzustellen: Die zügige Transformation hin zu einer auf Erneuerbare Energien setzenden Versorgung, die sich von Importen weitgehend unabhängig macht, ist zwingend. Und sie wird für die Industrienation Deutschland zu einem dramatischen Rennen gegen die Zeit.
Was bei alledem mitbedacht werden muss: Das hochambitionierte Projekt Energie- und Klimawende werden wir ohne eine breite gesellschaftliche Verständigung nicht bewerkstelligen. Das gilt umso mehr, als dass sich mit dem unweigerlichen Preisanstieg, den die Emanzipation von russischem Erdgas zur Folge haben wird, soziale Fragen in ganz neuer Größenordnung auftun. Um die Fülle der widerstreitenden Interessen auszubalancieren und zu einem Konsens über die Ausgestaltung unserer industriellen Zukunft zu kommen, braucht es den intensiven Dialog aller Beteiligten. Die Wirtschaft ist dabei eine zentrale Akteurin, wobei dem Energiesektor naturgemäß eine Schlüsselrolle zufällt.
Vom Taktieren zum Gestalten
Aufgrund ihres Versorgungsauftrags und als Teil der kritischen Infrastruktur stehen Energieunternehmen immer schon in enger Beziehung zur Politik. Seit dem Regierungswechsel und einem nun auch sicherheitspolitisch forcierten Klimaschutzkurs rückt auch die Art und Weise, wie Beziehungsarbeit in Richtung Politik zu verstehen ist, noch viel stärker in den Fokus.
In Branchenkreisen wurde mit Antritt der Ampel-Koalition bereits der Abgesang auf den berühmt-berüchtigten „Adressbuch-Lobbyismus“ angestimmt. Ob zu Recht, sei dahingestellt. Der Austausch mit der Politik bleibt für Interessenvertreter schließlich das A und O und ist wichtiger Bestandteil der demokratischen Willensbildung. Doch die Vorzeichen, unter denen Politik und Wirtschaft einander begegnen, haben sich in der Tat massiv verändert.
In der früheren Energiewelt waren Unternehmen darauf konditioniert, möglichst vorteilhafte Bedingungen für das eigene Wirtschaften zu erwirken. Abwehr von regulatorischen Eingriffen hieß der typische Reflex; man denke nur an das Taktieren um den Ausstieg aus der Kohleverstromung oder der Kernkraft. Heute stehen Energieversorger in der Pflicht, an vorderster Stelle an einer Generationenaufgabe von existenzieller Tragweite mitzuwirken. Es geht darum, Deutschland in einer gewaltigen, kollektiven Transformationsanstrengung in eine klimaneutrale Zukunft zu führen.
Public Affairs als Transmissionsriemen
In diesem Paradigmenwechsel liegt eine Chance für Public Affairs. Denn der Disziplin fällt jetzt eine besondere Verantwortung zu. Als Mittlerin zwischen einer aus gutem Grund ambitionierten Energie- und Klimapolitik und den ebenso begründeten nüchternen Erfordernissen unternehmerischer Wirklichkeit hat sie einen anspruchsvollen Dialog-, ja Gestaltungsauftrag. Was ist gewünscht? Was ist wie machbar? Und zu welchem Preis? Public Affairs transportiert einerseits politische Planungen und Erwartungshaltungen in das eigene Haus hinein. Und ist zugleich die Instanz, die aus dem Unternehmen heraus Impulse und Lösungsansätze in die Politik trägt.
Im Spannungsfeld der unterschiedlichen Interessen und Zuständigkeiten von Politik und Wirtschaft bewandert, wird Public Affairs in der Klimawende zum kommunikativen Transformationsriemen. Das Ressort übersetzt zwischen beiden Sphären, befruchtet den Diskurs und treibt so die politisch gewollte Erneuerung der Energiesysteme an entscheidender Stelle mit voran.
Eigenständige politische Arena
Dass sich ohne Reibung nichts bewegt, liegt auf der Hand. Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und Wissenslücken der Politik zu füllen, gehört zum täglichen Geschäft. Public-Affairs-Abteilungen kommunaler Unternehmen müssen dabei genaugenommen nicht nur zwei, sondern drei Register beherrschen: Sie müssen sowohl mit der Wirtschaft und der hauptamtlichen Politik interagieren als sich auch in die Denkwelt ehrenamtlicher Mandatsträger hineinversetzen können. Die Shareholderin in Gestalt einer Stadt oder Gemeinde stellt nämlich eine Arena mit einer eigenständigen und äußerst heterogenen Öffentlichkeit dar.
So sind kommunale Energieversorger nicht ausschließlich Renditeerwartungen ihrer Shareholder verpflichtet, sondern in hohem Maße am Gemeinwohl orientiert. Zum einen stellen sie – in einer geopolitisch zunehmend fragilen Lage – die elementare Versorgung mit Energie und Wasser sicher. Zum anderen tragen sie mit ihren Ergebnissen zur Finanzierung defizitärer Maßnahmen, wie dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) oder Schwimmbädern, bei und entlasten so die Kernhaushalte der Kommunen. Dass sie der Daseinsvorsorge und nicht rein privatwirtschaftlichen Interessen dienen, macht ihre besondere Stellung aus. In der Region verwurzelte Energieversorgungsunternehmen bilden zudem das Bindeglied zu den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort in der Fläche. Dort also, wo die in Berlin beschlossene, tiefgreifende Umstrukturierung der Energielandschaft letztlich Gestalt annehmen wird und Akzeptanz finden muss. Allein daraus ergeben sich jede Menge kommunikative Herausforderungen.
Konstruktives Korrektiv
Das gilt zuvorderst für die bereits angedeutete soziale Dimension der ökologischen Transformation. Versorger in öffentlicher Hand sind qua Rolle und Auftrag prädestiniert dafür, zwischen einer Politik mit ihren anspruchsvollen Zielvorgaben und der Bevölkerung, also den Endverbraucherinnen und -verbrauchern, zu vermitteln. Der schwierige Spagat: die Energiewende so zuwege zu bringen, dass sie unser Klima nachhaltig entlastet, die Menschen trotzdem finanziell nicht über Gebühr strapaziert und die Versorgungssicherheit garantiert. Eine Aufgabe, die Augenmaß und Pragmatismus erfordert. Denn sollte eine gerechte Verteilung der Lasten misslingen, wäre das Scheitern des historischen Vorhabens Energiewende vorprogrammiert.
Public Affairs wächst als konstruktives Korrektiv der Politik eine Aufgabe zu, die von hoher gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist. Das wird die Disziplin insgesamt aufwerten und verlangt von ihr ein strenges Ethos im Hinblick auf Anforderungen wie Transparenz und Fairness. Das Lobbyregister als vertrauensbildendes Instrument kommt insofern zum richtigen Zeitpunkt. Mit seinen Pflichten zur Offenlegung birgt es die Chance, ein reiferes Verständnis von unternehmerischer Arbeit an der Nahtstelle zur Politik zu entwickeln: „Lobbying“ als gemeinsame Anwaltschaft für ein Ziel, das alle Partikularinteressen überragt – den großen Umbau Deutschlands zu einer klimaneutralen Industrienation.
Foto Hanno Benz: Lotte Ostermann
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