Heißer Tanz um die Zukunft

Schlaglichter auf die jüngere Geschichte des Content Marketing. Dritter und letzter Teil.
Lesen Sie in Teil 1: Ein ehemaliger Wirtschaftsjournalist schafft sich seine eigene Branche und gleich den führenden Agenturverband dazu. Damit legt er den Grundstein für Content Marketing in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
In Teil 2 erfahren Sie: Content Marketing verbreitet sich schnell wie ein Buschfeuer. Manche Agenturen glauben, noch davonzukommen. Wie sich zeigt: ein fataler Fehler.

Haidhausen, um 1900: der am dichtesten besiedelte Teil Münchens. Obendrein der verrufenste. Tagelöhner, Wanderarbeiter, Kunstmaler, Prostituierte leben zusammengepfercht in einstöckigen Barracken, so genannten Herbergen. Besorgte Ärzte wenden sich mit Bittschreiben an den bayerischen König, weil jede dritte Frau unter 16 „geschwängert sey“.

Haidhausen heute: Ausgehviertel mit ungezählten Kneipen und Restaurants. Shabby look statt Schickimicki. Begehrte Filmkulisse und gefragter Wohnraum bei jungen Familien.

Und Agenturstandort. UX-Designer, SEO-Agenturen, Texter, Filmproduktionen sind in den verwinkelten Straßen zu Hause.

Seit 2015 auch die Profilwerkstatt.

Im Juni ist es so weit, das Abenteuer München beginnt, zeitgleich zum Best of Content Marketing, dem Award des Content Marketing Forums. Es ist der erste offizielle Auftritt, an dem ich eine neue Visitenkarte über den Tisch gleiten lasse, nach fast 15 Jahren Corporate Publishing und Content Marketing im Burda-Konzern. Auf dem Rücken der Karte mein Sinnbild, der loyale Samurai. Gelegt aus dem Tangram, das, anders angeordnet, ergibt, was wir sind: das Haus der Contentexperten.

Martina Keller, Mitgründerin der Profilwerkstatt, kann es blind, zu jeder Tages- und Nachtzeit, ein Haus aus Rechtecken, Dreiecken und Quadraten zusammenwirbeln. Daran erklären, was uns ausmacht.

Im Sommer 2015 lerne ich ungeahnte Facetten von Martina kennen: Sie, die quirlige Unternehmensjournalistin, sie sorgt für Stimmung und unter anderem als „Geschmacks-Sheriff“ dafür, dass mein steriler Agenturmöbelgeschmack in den Büros in Haidhausen nicht die Überhand gewinnt.

Und Ralf Ansorge, ihren Mann und die andere Gründerhälfte der Profilwerkstatt, ihn erlebe ich nicht mehr als Vorstandskollegen im CMF, auch erstmal nicht als ruhigen und bestimmten Strategen. Sondern ebenso schwitzend, fluchend, ächzend wie mich, wenn wir Lampen aufbauen, Tische zusammenschrauben, Sessel über knarzende Treppen in einem Haus von 1898 schleppen.

Agenturarbeit ist Handarbeit. Und Vertrauensarbeit.

Auf leisen Sohlen an die Budgets

Die Zeit ist günstig, um einen neuen Standort zu eröffnen. Im Süden der Republik ohnehin, näher zum Kunden an Donau, Isar, Main, aber auch über den Alpenkamm hinweg. Die Zeichen stehen für Deutschland, Österreich und die Schweiz mehr als günstig: Die Basisstudie des Content Marketing Forum vermeldet 2010 ein Marktvolumen von 4,4 Milliarden Euro. Gut vier Jahre später sind es schon fast sechs Milliarden Euro. Und Prognosen wie jene, dass 2020 ein Marktvolumen in der DACH-Region von zehn Milliarden Euro geknackt würde, wecken Begehrlichkeiten.

Allen voran bei den Werbern, den PR-Agenturen, den SEO-Buden, den Online-Marketeers, alle drängen sie auf die Weiden der Unternehmensjournalisten – die sich ihrerseits schon längst auf den Claims der anderen tummeln. 2018 vermeldet die CMF-Basisstudie weiteres Wachstum für Content Marketing – die Budgets dafür stammen zu mehr als der Hälfte aus Werbung und PR.

Noch genauer im Auge zu behalten scheinen die Branchenfremden zu sein, die sich auf leisen Sohlen an die Etats der Content-Agenturen heranmachen wollen. Roland Berger, McKinsey, Deloitte, Accenture – kaum eine Beratung, die nicht in Kommunikation und Marketing ein lukratives Geschäftsfeld wittert. Fusionen und Aufkäufe bestimmen plötzlich das Marktgeschehen im Content Marketing.

Mittelständische Content-Agenturen, wie sie den deutschsprachigen Raum prägen, müssen darauf reagieren. Dringend.

Natürlich wissen auch wir bei der Profilwerkstatt, dass es nicht reicht, Eiermann-Tische an einem neuen Standort aufzubauen. Da braucht es mehr, um als mittelständischer David einem Konzern-Goliath entgegen zu treten.

Durchaus mit Chancen auf Erfolg.

Ralf feilt an handfesten Strategien, die uns auszeichnen: intern an wertschätzendem Führen, extern an wertorientierter Argumentation beim Kunden. Und am Aufbau von Bereichen, die bei Marken- und Content-Strategien beraten – und umsetzen – können.

Die sich in den Armen liegen

Da blitzt Störfeuer auf, als eine typisch deutsche Debatte sich anschickt, den Aufschwung des Content Marketing in einem anderen Licht darzustellen.

„Es herrscht Chaos im Content Marketing“, schreit es von der Titelseite der Fachzeitung HORIZONT. Matthias Wesselmann legt in einer neuen Rolle einen bühnenreifen Start hin. Er, der Vorstand der ehemaligen PR-Agentur FischerAppelt, ist frischgebackener Vorsitzender der Fokusgruppe Content Marketing im BVDW.

Wesselmann stichelt gegen das CMF, das die Deutungshoheit für Content Marketing reklamiere, aber im Grunde nur Corporate Publishing umetikettiert habe. Er vermisst eine breite, digitalere Aufstellung, eine Einordnung, ein Zertifikat: „Unsere drei zentralen Themen sind KPI im Content Marketing, Content Marketing im Sales Funnel sowie Code of Conduct und Zertifizierung.“

PR, das kann er. Aus den dahingeworfenen Sätzen versuchen die Fachpresse und die Mediendienste einen „Krieg der Verbände“ zu inszenieren.

Es reicht. Ich greife zum Hörer, rufe Wesselmann an, er ruft keine fünf Minuten später zurück.

Wir kreuzen die Klingen. Lassen ein paar Funken fliegen.

Nur allzu schnell aber erkennen wir Gemeinsamkeiten, verabreden noch im ersten Telefonat eine Zusammenarbeit zwischen BVDW und CMF. Eine fruchtbare – einige der Fokusgruppenmitglieder, die den Code of Conduct im Content Marketing erarbeiten, haben eine Doppelmitgliedschaft in beiden Verbänden. Und persönlich? Im Frühjahr 2019 werde ich stellv. Vorsitzender der Fokusgruppe, quasi Wesselmanns Vertreter, mit dem klaren Fokus, die Zusammenarbeit zu vertiefen.

Ein Medienvertreter äußert sich fast enttäuscht am Rande des BCM im gleichen Jahr: „Die Definitionsschlacht ist keine mehr, die Kontrahenten fallen sich in die Arme.“

Feuerwerk an Anglizismen

Die Branche hat definitiv andere Herausforderungen, als theoretische Diskussionen zu führen.

Im Unterschied zum „Wir machen mal eine Kundenzeitung“ von einst umfasst Content Marketing eine ellenlange Wertschöpfungskette, bestehend aus Marke, Zielgruppe, Personae, Botschaften, Geschichten. Unterfüttert im besten Fall mit einer Content-Strategie, ihrer Themen- und Kanalarchitektur, bis hin zu Content-Produktion, Promotion, Distribution und Content Campaigning.

Das ist ein Feuerwerk an Anglizismen, abgebrannt im real existierenden oder virtuellen Newsroom. In diesen können sich organisatorische und systemische Ungenauigkeiten einschleichen, ebenso wie in die Triebfedern von Content-Marketing-Projekten, den Key Performance Indicators. Hier heißt es: Messen, auswerten, Strategie überprüfen, Inhalte anpassen, wieder messen.

Ein Kreislauf, der zur Abwärtsspirale wird, wenn nicht genau festgelegt wird, welche Kenngrößen wie gemessen werden sollen. Und welche Aussagen getroffen werden sollen, um richtig bewerten zu können.

Willkommen im Dschungel

Für viele Agenturen ist das eine neue Welt – nicht nur für jene, die Journalismus in den Genen haben. Organisationsberater, Verlagsagenturen, Werber, PR-Profis, keiner kann alles, jeder hat seinen Stärken und Schwächen. Neu im Reigen: Eventagenturen, die stolz verkünden, sie hätten unter einem Head of Social Media einen Bereich Content Creation geschaffen, „um sich das interessante Geschäftsfeld Content Marketing zu erschließen“. Na dann: willkommen im Dschungel.

Content Marketing erlebt einen Paradigmenwechsel in Hochgeschwindigkeit.

„Wir verändern, was wir verkaufen“, umreißt Ralf Ansorge den Wandel. Wir stehen am Fenster und blicken in den Haidhausener Hinterhof unseres Agenturstandorts hinab. Beide haben wir vor zig Jahren mit journalistischen Leistungen begonnen und erleben nun, dass wir eine komplette Wertschöpfungskette anbieten, die sich um Inhalte als Kern entfaltet.

Bei dieser Veränderung allein wird es nicht bleiben: „Wir verändern auch, wie wir es verkaufen“, sagt Ralf. Jetzt muss sich auszahlen, was er vorbereitet hat, um beim Kunden den Wert zu platzieren, den Content-Marketing-Lösungen erzielen können.

Denn der Paradigmenwechsel findet auch auf Kundenseite statt. Mit zunehmender Professionalisierung in den Kommunikations- und Marketingabteilungen, mit dem dort steigenden Ideen- und Konzepthunger geht ein strengeres Regiment des Einkaufs einher, der auf Compliance-Regeln und Transparenz bei den Stundensätzen der Anbieter pocht. Meist mit dem Ziel, nicht den für beide Seiten besten, sondern schlicht den niedrigsten Preis zu erzielen.

Immer mehr unterwirft sich Content Marketing den Einkaufsparametern, wie sie auch auf Gummikleinteilchen angewendet werden könnten.

Zeit, dagegen aufzustehen. Zeit für den nächsten Wandel.

Dein Freund, der Einkauf

Denn die Idee des Stundensatzes, des beliebig verhandelbaren, ist alt. Sie lässt sich bis in das Zeitalter der Industrialisierung zurückverfolgen. Die Idee der Erfassbarkeit von Leistung ist an sich keine schlechte – in der industriellen Produktion. Kreativität, wie Content Marketing sie nutzt und hervorbringt, liefert andere, ebenso bezifferbare Werte, auch messbare. Nur nicht nach einem Stundensatz.

So trocken das klingen mag, dies wird die nächste Revolution, eine stillere als die bisherigen, doch ähnlich umwälzend, denn sie wird den Wert von Content Marketing mit dem zusammenbringen, was es zum Unternehmenswert beiträgt.

Für Auftraggeber und Agenturen wäre dies der lang erwünschte Zustand: Wertschätzung, weil der Wert nicht mehr nur geschätzt wird. Jeder geht aus gutem Grund mit dem anderen auf echter Augenhöhe und mit Respekt um. Der Einkauf wird zum Freund, nicht zur Kostenbremse, die den Erfolg des Projekts verlangsamt.

Ein völlig neuer Ansatz in der langen Historie des Content Marketing. Viele namhafte Agenturen haben sich einen festen Platz erarbeitet. Die Profilwerkstatt ist eine davon. Sie hat 25 Jahre lang an dieser Geschichte mitgeschrieben. Sie ist bereit für Neues.

Mögen Mediendienste schwarz sehen und immer wieder mal fragen: Content Marketing – am Ende?

Bestimmt nicht.

Wir sind erst am Anfang.