Die Macht des Storytelling

Storytelling hat längst seinen Dienst getan, ist kurz vor dem Aus, von einem “narrativen Kollaps” spricht gar der Kolumnist Douglas Rushkoff. Klar, das könnte sein. Das Buzzword “Storytelling“, das in der vergangenen Zeit gerne auch mal wahllos in den Raum geworfen wurde, könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Doch schauen wir mal genau hin: abseits vom “Trendy Topic im Netz” auf die wirklichen Facetten des Erzählens. Dann lässt sich über diese These eigentlich nur wohlwollend schmunzeln.

Die re:publica war offline

Geschichten sind so alt wie die Menschheit selbst. Sie beflügeln die Fantasie, die Kreativität, das Interesse und die Spannung somit sind sie weitaus ansprechender für Menschen als bloße Informationen. Dieser Meinung sind nicht nur wir, als Haus der Contentexperten, auch der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen. Er widmete auf der vergangenen re:publica TEN eine komplette Session dem Thema “Storytelling”. Und er hat es richtig gemacht, denn er hat uns eine Geschichte erzählt. Das Resultat: die ganze Netzgemeinde in seiner Session ist für 40 Minuten offline gegangen.

Unfreiwillig zum Helden werden

So erzählt Pörksen, dass einer seiner Studenten ihn gefragt habe, ob er in einer von ihm gehaltenen Vorlesung seiner Kommilitonin einen Heiratsantrag machen dürfe. Eine Schlüsselszene, in der  Pörksen klar wurde, welche Rolle ihm ganz schnell in solch einer bedeutenden Situation zu Teil werden kann. Er beschreibt, wie er selbst plötzlich zum wichtigen Teil, quasi zum Held der Geschichte wurde und wie er vor seinem inneren Auge das Happy End herbeisehnte. Das brachte ihn zum Nachdenken über die Macht von Geschichten.

Gerade im digitalen Raum hätte diese Macht ganz neue Züge erreicht – viral ist das Stichwort. Schaut man sich Beispiele aus den vergangenen Jahren an, wird klar dass immer die Geschichte im Vordergrund steht. Videos, Bilder oder andere Inhalte geben Startpunkte für eine Kette von Gedanken – das hat bereits Hemmingway mit der kürzesten Geschichte der Welt verdeutlicht “For sale: Baby Shoes. Never worn”. Die zwar herkunftsmäßig sehr umstritten ist allerdings so oder so die beschriebene Wirkung untermauert.

Die archetypische Erzählweise macht sich auch in der Geschichte der 106-Jahre alten Seniorin Virginia McLaurin, die im vergangenen Februar das Weiße Haus und die Obamas besuchen durfte. Eine vergnügliche, zum Tanzen aufgelegte Frau, die sagt  “I’m here to celebrate black history”. Ein lediglich 1,5 minutiges Video, das eben mal den Triumph nach 100 Jahren amerikanischer Rassentrennung darstellt. PR von der schönsten Seite und vor allem mit einem einfach Mittel: Fantasie.

Das Netz und seine Schauergeschichten

Doch es gibt auch die Schattenseiten, so schildert Pörksen, dass “Storytelling im Netz (…) das Problem der Hysterisierung [hat]” und häufig doch nicht hält was es verspricht. Clickbaiting a là “wenn Sie das lesen, wird sich ihr Leben verändern” springen ebenfalls auf den Zug der Kommerzialisierung und sorgen dadurch nicht selten für virale Reichweite. Und obwohl die Geschichte seiner beiden Studenten leider nicht zum gewünschten Happy End geführt hat,  so appelliert der Medienprofessor gegen Ende seines Vortrags trotz allem an sorgfältiges, gutes Schreiben, denn “es gibt auch viele wunderbare Geschichten im Netz”. Und genau das können wir so nur unterschreiben und bleiben daher gerne bei unserem Credo “Wir erzählen die richtigen Geschichten zur richtigen Zeit den richtigen Leuten”.