Inside Profilwerkstatt: So organisieren wir uns über Kanban (auch in Corona-Zeiten)

Was hat die Profilwerkstatt mit Toyota gemeinsam? Ebenso wie der japanische Automobilhersteller steuern wir als Kreativagentur unsere Projekte über Kanban. Das bedeutet mehr als nur bunte Zettel zu beschriften und auf ein Board zu pinnen. Mehr als zwei Jahre nach der Einführung verfeinern wir unser System der Arbeitsorganisation weiter und weiter. Und zugleich wissen wir, dass wir es stets nur mit dem „letzten Stand des Irrtums“ zu tun haben. Welch eine zutiefst beruhigende Vorstellung – das bestätigt sich umso mehr in Corona-Zeiten!

Wer schon ein paar Jahre im Berufsleben steht, kennt das branchenübergreifende Phänomen sicher gut: Unternehmen optimieren stetig ihre Prozesse, Mitarbeiter werden immer schneller und effizienter – und am Ende haben trotzdem alle das Gefühl, gehetzt zu sein und nicht hinterher zu kommen. Produktivität hat halt ihren Preis! Allerdings setzen wir bei der Profilwerkstatt neben den Effizienz-Hebel der ständigen Prozessbeschleunigung auch auf andere Methoden. Seit Ende 2018 organisieren wir unsere Abläufe über Kanban. Wir sind überzeugt, durch agiles Projektmanagement den Wert unserer Arbeit für unsere Kunden dauerhaft zu verbessern. Oder, wie es ein Kollege aus der Redaktion auf den Punkt bringt: „Der liebe Gott hat mir nicht zwei Hände gegeben, um mit links und rechts parallel zwei unterschiedliche Texte zu schreiben.“ Gleiches gilt für Layouts oder Konzepte. Doch was verbirgt sich bei uns hinter der Prozesssteuerung durch Kanban?

Die Idee: Es geht nicht ums Arbeiten, sondern ums Liefern

Eine erste Grundannahme von Kanban lautet: „Stop starting, start finishing“. Das bedeutet für Unternehmen, sich auf jene Sachen zu konzentrieren, für die Kunden bereit sind Geld zu zahlen. Denn es geht nicht ums Arbeiten, sondern ums Liefern. Demnach ist es nicht hilfreich, immer mehr Projekte reinzuholen, sondern wesentlicher, sich darauf zu konzentrieren, Projekte zügig und sauber abzuschließen und auch abzurechnen. Ein Hauptziel: Die Durchlaufzeit von Projekten verbessern. Das schafft wiederum Raum für Qualität und für neue kreative Ideen.

Grundlegend bedient Kanban sich dreier wesentlicher Methoden. Es gilt:

Arbeit sichtbar zu machen: Wir visualisieren die Arbeit an unserem Kanban-Board. Dort betrachten wir morgens die anstehenden Aufgaben für den Tag, blicken aber auch auf die kommenden Wochen. Bei einem etwa fünfzehnminütigen Treffen führt ein Moderator durch das Board – von den fast fertigen Aufgaben rechts hin zu den künftigen Anfragen links. Das Team entwickelt daraufhin das taktische Vorgehen und priorisiert Aufgaben für die unterschiedlichen Gewerke wie Redaktion, Art Direktion oder Beratung – inhaltliche Diskussionen haben hier nichts zu suchen und finden danach statt.  Post-Its mit den Konterfeis der Mitarbeiter zeigen an, wer sich konkret um welche Aufgaben kümmert. Mit den Lockdowns in Corona-Zeiten und der verstärkten Arbeit aus dem Homeoffice hat sich dieser tägliche Marktplatz natürlich verändert. Unsere Erkenntnis: An das echte Treffen am realen Board reichen alle digitalen Lösungen nicht heran. Aber sie funktionieren fraglos – wohl auch, weil wir ein generelles Kanban-Verständnis schon längst verinnerlicht haben.

„Das Board zeigt immer nur den letzten Stand des Irrtums.“

Kanban-Leitspruch

Arbeit zu limitieren: Nach eigenen Erfahrungen und auch nach dem Austausch mit anderer Kanban-Nutzern ist dies der schwierigste Schritt. Denn es liegt in unserer Agentur-Natur, mit einer Aufgabe zu beginnen, sobald sie da ist. Kanban gibt aber vor, dass ein System nicht ungefiltert mit neuer Arbeit befüllt werden soll, sondern die Aufgaben limitiert werden. Das ist fraglos eine gewaltige Umstellung, die ehrlicherweise auch nicht immer gelingt. Allerdings gilt auch hier „Stop starting, start finishing“. Kommt die neue Aufgabe rein, so bleiben vier Möglichkeiten: A. Eine fast fertige Aufgabe wird erfolgreich beendet, so dass die neue Aufgabe begonnen werden kann. B. Die neue Aufgabe wird in Absprache mit dem Kunden zeitlich geschoben – was häufig gar nicht so schlimm ist, wie es zunächst erscheint. C. Wir holen uns über Freelancer die nötige Unterstützung, um neue, eilige Anfragen zu übernehmen. Oder D. Wir entscheiden in Einzelfällen bewusst gemeinsam gegen Kanban und realisieren die neue Aufgabe – meistens zum Preis von Überstunden.

Das System der Zusammenarbeit immer wieder zu verbessern: Einer der schönsten Kanban-Leitsätze lautet: „Das Board zeigt immer nur den letzten Stand des Irrtums.“ Daher kann das Board jederzeit optimiert oder neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Impulse kommen von den Team-Mitgliedern, ganz egal auf welcher Hierarchiestufe sie stehen. Diese Kanban-Grundannahme der Unvollkommenheit halte ich persönlich nicht nur für sehr pragmatisch und zeitgemäß. Der Ansatz ist in einer stets komplexer werdenden Arbeitswelt auch der Schlüssel, um mit dem dauerhaften Wandel halbwegs Schritt zu halten. Zugleich verpflichtet das Kanban-System dazu, immer wieder Feedback-Runden zu drehen. Denn über die Visualisierung am Board ergeben sich viele Folge-Fragen: Warum haben wir für das Projekt viel länger gebraucht als geplant? Ergeben sich möglicherweise wiederkehrende Problemmuster? Was können wir daraus für das nächste Mal lernen? Übrigens: Gerade das Corona-Jahr 2020 hat uns gelehrt, dass selbst die größten Entscheidungsträger mit Unvollkommenheit und dem letzten Stand des Irrtums zu tun haben. Darum haben Bleistifte hinten ein Radiergummi…

Das Kanban-System deckt unwillkürlich auf, wenn es bei Arbeitsabläufen oder Entscheidungswegen hakt

Wer diese zunächst mal sehr einfachen Review-Fragen ernsthaft angeht, erhält über Kanban über die reine Projektplanung hinaus noch reichlich Mehrwert für die Verbesserung der Arbeitsorganisation. Dann das System deckt unwillkürlich auf, wenn es bei Arbeitsabläufen oder Entscheidungswegen hakt. Fast immer fehlt es den Beteiligten dann einfach an Klarheit. Vier Handlungsempfehlungen haben sich für uns immer wieder als besonders dienlich erwiesen:

  • Denke stets vom Kundenwert aus und modelliere den Arbeitsfluss am Board stets von rechts nach links – also von der „Lieferung an den Kunden“ aus
  • Vermeide in Teams möglichst externe Abhängigkeiten, um möglichst autonom Werte generieren zu können
  • Visualisiere am Board Abhängigkeiten und Wartezeiten – für uns als Agentur also das „Warten auf Kundenfeedback“
  • Mache tote Zeiten, Blockaden und Probleme sichtbar und versuche sie zu lösen 

Zwei Hürden haben uns bei der Einführung von Kanban vor besondere Herausforderungen gestellt:

  • Stärker als in der Softwareentwicklung haben wir als Kreativ-Agentur mit besonders unterschiedlichen Kompetenzen zu tun. Während Programmierer also auch mal eine neue Software testen können, sofern sie gerade etwas Zeit haben, so können Redakteure in der Regel nicht layouten – und umgekehrt. Dieses Spezialistentum gilt es am Board auch durch die richtige Darstellung von Aufgaben zu visualisieren.
  •  Zudem sind wir als Agentur per se in ausgeprägter Abhängigkeit zu unseren Kunden. Dadurch kann es immer mal wieder zu inaktiven Aufgaben kommen, ohne dass wir das beeinflussen könnte. Da dem so ist, planen wir stets ein gutes Viertel mehr ein an Aufgaben, die aber in der Regel ruhen. Dieser Richtwert hat sich für die Planung als realistisch erwiesen.

„Denken ist ausdrücklich erlaubt!“

Ein letzter wichtiger Kanban-Leitsatz ist: „Denken ist ausdrücklich erlaubt!“ Wir arbeiten nicht zu dogmatisch mit dieser Methode. Hat ein Projekt absolute Priorität, so dürfen beziehungsweise müssen wir unsere Regeln – auf Zeit – einfach außer Kraft setzen, um liefern zu können. Oder, wie ein Kollege sagte: „Das ist Kanban, nicht Muss-Ban.“