Content 4.0?

Es gab mal eine Zeit, da war die Vier ganz schön altbacken. Anfang der Neunziger war das, als die Bundespost die Deutschen darüber aufklärte, dass jetzt „Fünf ist Trümpf!“ gelte, und unter diesem Motto die vierstelligen Postleitzahlen abschaffte. Das ist jetzt 25 Jahre her, wirkt aber wie eine Ewigkeit, was man schon daran ableiten kann, dass das Maskottchen der Werbekampagne damals hip wirken sollte, und deshalb „Rolf“ hieß (und heute niemand mehr die „Bundespost“ kennt).

„Punktnull“, das klingt nach Computer

Aus und vorbei, lange her. Die Vier ist modern, hypermodern sogar, denn sie steht für die Zukunft. Fitness 4.0, Arbeit 4.0, Auto 4.0 – es gibt keinen Begriff mehr, der nicht dadurch moderner klingen soll, indem er die Vier verpasst bekommt. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handelt sich um eine Fortführung aus „zweipunktnull“. Zweipunktnull galt eine Zeitlang als das neue, heiße Zeug. Die Weiterentwicklung. Die Fortsetzung. „Zwei“ allein, das hört sich etwas bieder an, aber „punktnull“, das klingt nach Computer und Software und solchem Gedöns. „Web 2.0“ war das Internet, das plötzlich interaktiv wurde, mit Wikis, Blogs und Sozialen Medien. Was schon damals Unsinn bedeutete, weil das Web natürlich von Anfang an interaktiv war. Trotzdem wurde die Zwei dann ebenfalls an alles drangeklatscht, was sich besonders modern und partizipativ geben wollte: Politik 2.0, Fernsehen 2.0, Journalismus 2.0.

Fällt was auf? Richtig, was es nämlich niemals gab, war „3.0“. Das ist durchaus kurios, denn bekanntlich sind ja aller guten Dinge drei. Die Drei hätte man bestimmt gut verpacken und verkaufen können. Wurde aber nichts draus, weil „zweipunktnull“ nämlich mit „vierpunktnull“ gar nichts zu tun hat. Die Vier kommt aus einer ganz anderen Ecke: Aus der Wortschöpfung „Industrie 4.0“.

Revolution! Eins, zwei, drei..

Als vor einigen Jahren Wissenschaftler der Bundeskanzlerin ihre Vision einer modernen, deutschen Wirtschaft präsentierten, mit Begriffen wie „cyber-physischen Systemen“ und „Smart Grid“, soll Merkel die Forscher angestarrt und gesagt haben: „Das versteht kein Wähler.“ Also wurde ein Wort gesucht, das jeder versteht. „Industrie 4.0“ will die griffige Ableitung aus der sogenannten vierten industriellen Revolution sein, nach Dampfmaschine, Massenproduktion und Automatisierung nun: die Vernetzung von Mensch, Maschine und Produkt.

Die Vier steht also für die vierte Entwicklungsstufe, das „Punktnull“ kleidet sie abermals möglich modern und erinnert an Computer und digitale Sachen. International kannte den Begriff anfangs niemand. Da einigte man sich stattdessen auf den Begriff „industrial internet of things“. Sage noch jemand, Deutsche könnten keine knackigen Worte.

Was das mit Fitness, Arbeit und Auto zu tun hat? Erstmal gar nichts. Schließlich gab es keine zweite Fitnessentwicklungsrevolution, und auch keine dritte. Wenn man Glück hat, bezieht derjenige, der „Vierpunktnull“ verwendet, sich auf die Vernetzung. Das ist dann zumindest halbwegs logisch, wenn man weiß, wie und wo die ganze Wortentwicklung herkommt. Häufig liegt aber der Verdacht nahe, das wissen in etwa so viele Menschen, wie diejenigen, die sich noch erinnern, wie das Maskottchen der Fünf-ist-Trümpf-Kampagne hieß.

Emotionen statt Inhalt

Womit wir beim Content wären. Content 4.0? Die Wortkreation gibt es tatsächlich. Mit den unterschiedlichsten, widersprüchlichsten Herleitungen. Da wird dann wahlweise versucht, vier Revolutionsstufen von Kommunikation abzuleiten („Content 1.0“ war der Buchdruck ), oder mit „vernetztem Arbeiten“ zu verknüpfen („Vierpunktnull“ ist demzufolge das Dokument, das aus verschiedenen Federn gemeinsam bearbeitet wird, während 2.0 noch von einem Autor verfasst wurde).

Noch häufiger aber bleibt Content 4.0 genauso diffus, wie Industrie 4.0 mittlerweile im Sprachgebrauch geworden ist: Steht halt für Zukunft. Zukunft ist Vierpunktnull. Zukunft ist super. Und je schwammiger mein Begriff, desto mehr positive Emotionen löst er aus, desto weniger muss ich erklären, desto besser kann ich verschleiern, dass ich gar nicht mit Inhalten arbeite, sondern mit Form. Mit schönem Schein.

Content 4.0? Ernsthaft? Beschäftigen wir uns doch lieber mit Content, Grundkurs, „Content 1“.

Erste Regel: Content, das heißt Inhalt. Inhalt, das heißt Substanz, Gehalt, Sinn. Das heißt, ganz genau auf Sprache und Wörter zu schauen. Was will ich eigentlich sagen? Und was sage ich tatsächlich? Das ist, mit Verlaub, die Zukunft des Contents. Weil sich manche guten Sachen einfach nie ändern.

PS: In weiten Teilen Ostasiens gilt die Vier übrigens als Unglückszahl. Vielleicht hatte Rolf doch recht.