Social-Media-Auftritt in China: Achtung, wild!

China lockt. Die Zeit, als deutsche Firmen das Land nur als „Werkbank“ gesehen haben, ist vorbei, immer mehr interessiert auch der große Markt selbst. Aber wie wirbt man vor Ort? Professor Lorenz Lorenz-Meyer lehrt als Professor Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt und hat langjährige Erfahrung mit China. Er weiß, wie lebendig das Internet in China ist, er kennt die lange Kultur an Sozialen Medien. Vor allem die Jugend ist dort aktiv, aber auch Behörden und Ministerien haben zum Teil hochprofessionelle Web-Auftritte und beeinflussen das Netz in ihrem Sinne. Wie positioniert sich in diesem Umfeld ein Unternehmen am besten über einen Social-Media-Auftritt?

Stellen wir uns ein deutsches Unternehmen vor, das seit Jahren im Social Web unterwegs ist. Facebook, Twitter und der Unternehmens-Blog gehören zur Kommunikationsstrategie. Jetzt expandiert das Unternehmen nach China – gelten dort dieselben Social-Media-Regeln wie in Deutschland?

Nur bedingt. In China treffen ausländische Unternehmen auf eine andere Kultur – auch im Internet. Das chinesische Internet wurde von Anfang an stark geprägt durch seine Communities. Heißt: Es gibt viel mehr communitybasierte Webseiten als in Deutschland – das überrascht viele. Das Land kennt schon sehr lange Webforen, Blogs, Social Media. Chinesen sind viel mehr bereit, sich im Netz einzubringen. Das heißt aber auch, dass es wilder zugeht. Shitstorms zum Beispiel entstehen häufiger: Da geht es über die Kommentarfunktion schnell mal hart und unappetitlich zu.

Bedeutet das für deutsche Unternehmen „Finger weg“ vom chinesichen Social Web?

Auf gar keinen Fall. Unternehmensvertreter sollten sich nur besser nicht als Person in den sozialen Raum stellen, ich denke da an Geschäftsführerblogs oder halboffizielle Blogs aus der Unternehmenswelt. Das ist ja in Deutschland manchmal recht erfolgreich und hat einen gewissen Charme, weil die Firma dadurch ein Gesicht bekommt. In China ist das aber eher ein Risiko. Da entgleisen Sachen schnell ins Persönliche und ins Hässliche, gewitterartig. Das hört dann zwar auch wieder auf, aber man muss aufpassen, dass man sich nicht als Person zum Beispiel auf „Weibo“ in den Wind stellt.

„Weibo“ ist Chinas „Twitter“, richtig?

Das wird oft so beschrieben, stimmt aber nicht ganz, weil die Texte bei Weibo deutlich länger sein können, als bei Twitter. Sie haben oft eher Bloglänge. Insgesamt wandert die Netzöffentlichkeit derzeit stark von Weibo zu Wechat, weil Wechat privater ist, da teilt man nur unter denen, mit denen man vernetzt ist. Trotzdem hat es die gleiche oder sogar eine höhere Viralität als Weibo. Man muss als Unternehmen beide Bühnen bespielen, Weibo ist dabei die große, offene Bühne. Wechat ist aber in der Entwicklung sehr interessant, weil es sehr flexibel ist, man kann zum Beispiel Sprachfunktionen und andere Dienste andocken, sein Taxi bezahlen oder Reisen buchen, und es ist auch wichtig, weil in China alles über Smartphones läuft – jeder geht mit seinem Smartphone ins Internet.

Also lautet der allgemeine Ratschlag: Besser ein nüchterner Stil?

Nein! Ein „offizieller Account“ muss nicht nüchtern sein, ganz im Gegenteil. Das wäre sogar ein Fehler. Wer zu schematisch und zu uninspiriert daher kommt, der geht unter. Dazu ist das Internet in China zu lebendig und zu bunt, da sind die Nutzer verwöhnt. Der Weibo-Account von Siemens zum Beispiel zeigt: Es wird viel Aufwand betrieben, aber der Inhalt sind unter anderem Fotostrecken von CEO-Besuchen, und Bildergalerien vom Standort in Erlangen. Das sind alles sehr klassische Rezepte, die aber in China nicht auf die Zielgruppe treffen. Das geht eher ins Leere.

Was wäre denn das richtige Rezept?

Zunächst mal geht nichts ohne ein ausführliches Monitoring: Man muss hingucken. Nicht nur schauen, wie steht unsere eigene Marke da, sondern vor allem schauen: Was interessiert meine Zielgruppe? Welche Themen? In welchen sozialen Netzwerken sind meine Leute denn am meisten unterwegs?

Klingt nach Content Marketing. Werbung durch Inhalte?

Es gibt einen Trend, dass große Marken derzeit sehr aufmerksam auf werbewirksame Kultstars der sozialen Netze schauen. Austin Gu zum Beispiel ist auf Weibo sehr versiert in Kunstgeschichte. Ein Blogger, der amüsante, kunstgeschichtliche Reflexionen macht. Damit erreicht er 720.000 Follower. Und da ist jetzt die französische Luxusmarke Chaumet auf die Idee einer Kooperation gekommen: Austin Gu erzählt auf seiner Weibo-Seite eine ausführliche Geschichte über Schmuck in der französischen Geschichte. Das geht über Napoleon, über französische Könige und die Kronjuwelen, über mehrere Seiten. Und es endet in einer Werbung für Chaumet. Klassisches Storytelling also – kulturübergreifend sozusagen.

Prof. Lorenz Lorenz-Meyer: Experte für Social Media in China

Prof. Lorenz Lorenz-Meyer: Experte für Social Media in China