Nagelprobe für die Firmenwirklichkeit

Kaum ein Begriff scheint so dehnbar und doch so unflexibel zu sein wie Haltung. Was Haltung ist, darüber diskutieren, verhandeln, streiten sogar Kommunikatoren, Marketeers, Medienvertreter, Führungs- und Fachkräfte aller Bereiche. Dabei kann eine Definition so einfach sein: „Eine Haltung besteht aus Wahrhaftigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit, Integrität. Haltung gibt die Richtung vor.“ So beschreiben die Journalisten Rebekka Reinhard, Thomas Vašek und Tobias Hürter im Philosophie-Magazin „Hohe Luft“ (03/2017) diesen Begriff.

Mit „Purpose“, einem aktuell in der Bugwelle von Haltung mitschwimmenden Begriff, hat das kaum was zu tun, wird allerdings gerne vermischt. Der dem Englischen entlehnte Begriff lässt sich als „Absicht“ oder „Zweck“, im günstigsten Fall als „Bestimmung“, übersetzen. Alle Unternehmen, ob gewinnorientierte Organisationseinheit oder Non-Profit-Unternehmen, verfolgen per se Unternehmenszwecke und Unternehmensziele. Allerdings: Sie sind als soziale Gemeinschaft sowie mit ihren Produkten und Dienstleistungen ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. In Politik und Gesellschaft spielen sie eine prägende Rolle – woraus sich unweigerlich Verantwortung für ihr Tun ableitet. Dieses wirtschaftliche Handeln braucht eine Richtung, was wiederum erfordert, dass sie Stellung zu gesellschaftlichen Themen beziehen. Sie positionieren sich in der öffentlichen Debatte und äußern Meinung – kurz, sie zeigen Haltung.

Noch weiter geht Pater Hermann-Josef Zoche, Ordensmitglied bei den „Brüdern vom gemeinsamen Orden“. Für den Priester, Wirtschaftsethiker und gefragten Redner ist „Ethik kein Luxus für gute Zeiten, sondern ein Muss auch in schlechten Zeiten“. Jeder langfristige Unternehmenserfolg, so Zoche, beruhe auf einer soliden Unternehmensethik. Diese gründet auf klaren Werten, die wiederum Voraussetzung dafür sind, dass aus Werten auch ein Wert entspringt; und Werte zu schaffen ist ein legitimes und notwendiges Ziel allen Wirtschaftens.

Eine einfache Gleichung: Wenn Unternehmen diese Verantwortung ernst nehmen, dann schafft Haltung Vertrauen – und Umsatz und Rendite.

Marken machen Meinung

Dass die Gleichung aufgeht, untermauert die „Meaningful Brands Studie“ der Agentur Havas von 2019, eine globale Markenstudie, für die mehr als 350.000 Konsumenten aus 31 Ländern zu 1.500 Marken interviewt wurden. Sie ergab für den bundesdeutschen Raum, dass 75 Prozent der Konsumenten erwarten, dass Marken sich aktiv an Lösungen für soziale und ökologische Probleme beteiligen und eine klare Haltung einnehmen.

Mit dieser Prämisse werden Kaufentscheidungen zum politischen Akt: 55 Prozent der deutschen Konsumenten meinen, dass Konzerne heute eine wichtigere Rolle im Aufbau einer besseren Zukunft spielen als die Politik – und glauben daran, dass sie durch ihre Markenwahl und Kaufentscheidungen Einfluss auf diese ausüben. Auch kaufen 77 Prozent der Befragten bevorzugt Marken, die ihre eigenen Werte repräsentieren.

Nachgefragt: Sind alle dabei?

Es lohnt sich also für Marken und Unternehmen, Position zu beziehen. So weit, so gut, wenn Kunden und die Öffentlichkeit im Mittelpunkt stehen. Wir wollten speziell wissen, wie es in der Internen Kommunikation um Haltung bestellt ist: Werden die Mitarbeitenden mitgenommen auf der verantwortungsbewussten und sinnstiftenden Positionierung des Unternehmens?

Deshalb haben wir Pressesprecher und Kommunikationsverantwortliche von Mittelständlern und Konzernen mit Hauptsitz in Deutschland befragt. Die Unternehmen kommen aus dem Kreis unserer Kunden, erweitert um persönliche Kontakte, zu denen keine Kundenbeziehung besteht.

Beteiligt hat sich etwa die Hälfte der angeschriebenen Unternehmen; geantwortet haben in der Regel Kommunikateure, seltener kamen die Antworten aus dem Vorstandsbüro oder aus der für Compliance zuständigen Abteilung.

Allgemein zeigen zwei Drittel der Teilnehmer klare Kante. Sogar etwa drei Viertel der befragten Unternehmen aus Industrie und Finanzen beziehen Stellung vor allem zu Themen, die das eigene Geschäft tangieren. Derzeit an erster Stelle: Klima und Nachhaltigkeit. Dann folgen internationale Handelsbeziehungen, Steuerpolitik und Freihandel sowie Datenschutz.

Haltung als Kernaufgabe sehen Verbände, öffentliche Einrichtungen oder Verwaltungen: Diese betrachten es sogar als den vordringlichen Teil ihres Wirkens, allgemein Stellung zu beziehen, ihre Klientel bzw. Mitglieder zu vertreten und zum Beispiel ein Sprachrohr der Branche zu sein.

Überraschend: Ein Drittel der Teilnehmer beziehen grundsätzlich keine Stellung zu allgemeinen Themen in der Öffentlichkeit. Und sie tun dies nach eigener Aussage wohlüberlegt: Meist werden die Organisationsform des Unternehmens, seine Stellung im Wirtschaftsleben der Bundesrepublik oder spezielle Eigentumsstrukturen als Gründe angeführt.

Vertane Chancen

Wie schaut es nun mit der Information der eigenen Mitarbeitenden aus? Birgit Ziesche leitet die globale Interne Kommunikation bei Henkel und hält speziell die Frage nach den Unternehmenswerten und ob bzw. wie sie gelebt werden, für besonders spannend. Und das nicht in der Außendarstellung, sondern gerade auch in der internen Kommunikation, gegenüber Mitarbeitern und Stakeholdern. Sie sagt: „Eine klare Haltung, nicht nur zu Angelegenheiten des Unternehmens im engeren Sinn, sondern ausdrücklich auch zu gesellschaftlichen Fragen, ist heute wichtiger denn je. Dabei ist es selbstverständlich, dass das Unternehmen in persona seiner Führungskräfte hier Vorbild sein muss.“

Wie wichtig das ist, belegen die Ergebnisse des Trust Barometers 2019. Demnach geben hierzulande 73 Prozent der Befragten an, dass sie ihrem Arbeitgeber vertrauen. Für die Glaubwürdigkeit entscheidend ist nicht der Kanal, sondern der Absender. Die Menschen suchen Antworten, Unternehmen und CEOs können sie geben. So sehen 39 Prozent der befragten Deutschen CEOs als glaubwürdige Absender von Informationen. Und Mitarbeitende eines Unternehmens gelten für 56 Prozent der Teilnehmer als eine der glaubwürdigsten Informationsquellen im jeweiligen Kontext.

Doch unserer Ad-hoc-Studie zufolge zeigt sich, dass noch längst nicht alle Unternehmen dies erkannt haben. Rund ein Fünftel der Befragten kommuniziert öffentliche Positionsbestimmungen der Organisation gar nicht nach innen. Obwohl bei den meisten Unternehmen im Prinzip alle zur Verfügung stehenden internen Kanäle ihren Möglichkeiten und Besonderheiten entsprechend bedient werden: vom Intranet über interne soziale Medien, gedruckte Mitarbeiterpublikationen bis hin zu persönlichen Kommunikationsformaten. Besonderes Gewicht allerdings gewinnen Meldungen zu Haltung und Positionierung des Unternehmens über die internen Kanäle eigentlich nur, wenn die Reaktion der Öffentlichkeit auf Unternehmensäußerungen in irgendeiner Weise auffällig ist.

Das bedeutet leider auch, dass die Mitarbeitenden nicht gezielt als Botschafter für Positionen des Unternehmens in der Öffentlichkeit eingesetzt werden. Im Allgemeinen geht es bei der Weitergabe entsprechender Inhalte an die Kollegen mehr um das Bemühen, den Informationsauftrag nach innen zu erfüllen und also eher defensiv für eine gewisse Vollständigkeit zu sorgen. Employee Advocacy ist nach den Ergebnissen unserer nicht repräsentativen Umfrage in aller Regel keine Zielsetzung der internen Kommunikation bei gesellschaftlich relevanten oder öffentlich diskutierten Themen.

In Zeiten, in denen auch Mitarbeitende zunehmend erwarten, dass ihr Unternehmen einen positiven Beitrag zu Gesellschaft und Umwelt leistet, verschenken Kommunikateure damit eine wichtige Chance, die Reputation zu verbessern. Mitarbeitende sind im besten Sinne Botschafter ihres Arbeitgebers; das gilt eben nicht nur in Hinblick auf Marke, Identität und Markenversprechen, sondern gerade auch für die Haltung und die Werte, für die ein Unternehmen in der Gesellschaft offensiv eintritt.

Mitarbeitende sind im besten Sinne Botschafter ihres Arbeitgebers; das gilt eben nicht nur in Hinblick auf Marke, Identität und Markenversprechen, sondern gerade auch für die Haltung und die Werte, für die ein Unternehmen in der Gesellschaft offensiv eintritt. – Profilwerkstatt, Click-to-tweet

Nach außen wie nach innen ist das die Chance, klar zu machen, dass das Wesen der Unternehmung nicht allein darin besteht, Erträge zu generieren. Sondern einen Nutzen zu stiften, der trägt.

Dieser Beitrag ist Bestandteil eines Vortrags, den Gesche Brock und Werner Idstein auf den „SCM Praxistagen Interne Kommunikation“ im Dezember 2019 hielten. Gerne senden wir Ihnen die Charts zu, eine Mail an info@profilwerkstatt.de genügt.