Warum sich Menschen in Unternehmen verlieben wollen

Warum der Profilwerkstatt ein tieferer Sinn am Herzen liegt? Der Purpose von Unternehmen gehört zu den spannendsten und bedeutsamsten Geschichten, die Menschen emotional von Firmen und deren Angeboten überzeugen. Wir helfen Unternehmen, ihren Purpose wieder zu entdecken, die Veränderungen in der Organisation anzugehen und darüber wertorientiert und sinnvoll zu kommunizieren.

Früher war das Wort Liebe noch für ein Gefühl zwischen zwei Menschen bestimmt. Heute sprechen wir im Alltag von der Liebe zur eigenen Arbeit, bei der wir uns selbstverwirklichen können, oder die Liebe zu einem Produkt, ohne dass wir nicht mehr auskommen möchten, oder auch zu einem Unternehmen, welches für die Themen steht, die auch uns persönlich sehr wichtig sind. Das Wort Liebe steht für eine tiefe Verbundenheit, die wir in der Welt suchen. Und gerade in diesen turbulenten Zeiten gibt es eine regelrechte Sehnsucht nach diesem guten Gefühl, auf das Kommunikations- und Marketingverantwortliche reagieren müssen. Purpose ist derzeit in der Businesswelt dafür das Wort des Moments. Und auch, wenn es bei manchen schon wieder als Buzz-Word in die Schublade der vergänglichen Hypes gesteckt wird – die Idee dahinter wird in den nächsten Jahren immer stärker werden. Nicht nur, weil sie sehr resilient, schon lange da und keine Mode ist, wie auch die Beispiele hier gleich zeigen werden. Sondern, weil es eine immer größer werdende Zahl an Menschen gibt, die sich mit dem “old normal” bei vielen Unternehmen nicht mehr zufriedengeben.

Warum ist das so? Corona-Pandemie, finanzielle Unsicherheit, #blacklivesmatter, Klimakrise: Das Leben und der öffentliche Diskurs sind rauer geworden. Da werden das Streben nach „Profit“ oder „Gewinn“ von Unternehmen von vielen Menschen zunehmend negativ angesehen. Sie erwarten eine Orientierung am Gemeinwohl, Unternehmen sollen ein Teil der Lösung für unsere drängendsten Probleme zu sein. Studien wie etwa von Brandwatch zeigen, dass Menschen von Unternehmen erwarten zu handeln und nicht nur schöne Worte zu verlieren. Dabei geht es hauptsächlich um das Wohl der Mitarbeiter*innen, Nachhaltigkeit und die Unterstützung der Schwächsten. Und es gibt sie, bekannte und weniger bekannte Beispiele, die zeigen, wie das funktionieren kann und die als Vorbild dienen, wie wir die Kluft zwischen Wirtschaft und Gesellschaft schließen und Profit mit Gemeinwohl vereinen.

Einen sozialen Organismus entwickeln

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Drogerie-Kette dm. Götz W. Werner hatte das Unternehmen 1973 gegründet und ging zunächst den konventionellen Weg. Doch mit zunehmender Expansion wurde das Unternehmen schwerfälliger, und die Drogeriemärkte verloren an Attraktivität für Mitarbeiter*innen und Kund*innen. Werner stellte daraufhin die bekannte Hierarchiepyramide auf den Kopf und gab Filialen sowie Mitarbeiter*innen bisher ungeahnte Freiheiten wie etwa in der Sortimentsauswahl und der Gestaltung der Dienstpläne ,und sogar Gehälter sollten sie selbst bestimmen. Statt Gewinnmaximierung stand als Unternehmenszweck im Zentrum, einen sozialen Organismus zu entwickeln. Für die 90iger Jahre waren das hierzulande revolutionäre Gedanken.

Er wolle einen Ort schaffen, an dem sich Menschen weiterentwickeln und ihre Potenziale entfalten können, so Werner. Orientierung am Sinn, Vertrauen statt Kontrolle und dialogische Führung sind einige der Schlagworte für dieses Selbstverständnis. Der Wandel zu einem sinnstiftenden Unternehmen mit einem dominanten Purpose hat sich ausgezahlt: Der dm-drogeriemarkt kann seither mit steigendem Wachstum glänzen und freut sich über eine sehr hohe Mitarbeiter*innen- und Kund*innenenzufriedenheit. Die Ausrichtung des Unternehmens wirkt von innen nach außen. Dazu gehört der von Goethe inspirierte Slogan des Drogeriemarkts „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“ sowie das sehr öffentlichkeitswirksame Engagement des Gründers für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Die Vision vom glücklichen Menschen

Ein weiteres erfolgreiches Beispiel für ein sinnstiftendes Unternehmen ist das in Norddeutschland befindliche Upstalsboom. Es betreibt zehn Hotels und betreut über 600 Ferienwohnungen. 2005 hatte Bodo Janssen das Unternehmen von seinen Eltern übernommen. 2008 folgte eine Mitarbeiter*innenumfrage mit katastrophalen Ergebnissen. Insbesondere über die Führungskräfte, die allgemeine Kommunikationskultur und den Umgang miteinander waren viele unglücklich. Das hatte den Geschäftsführer unvorbereitet getroffen und den Anstoß für einen Werte- und Verhaltensleitbildprozess gegeben. Konkret wurde mit den Mitarbeiter*innen die Frage beantwortet, welches Verhalten notwendig ist, um die Werte, die ihnen wichtig sind, mit Leben zu füllen. Daraus hat sich ein tiefer Sinn entwickelt: Anfangs drehte es sich noch um das Glücksempfinden der Mitarbeiter*innen und entwickelte sich wenig später zu dem Glück von Menschen allgemein – ob Gäste oder Menschenleben auf der Welt. Dieser Unternehmenszweck „Glückliche Menschen“ mündete unter anderem in einer Reise des Geschäftsführers mit einer Gruppe von Mitarbeiter*innen nach Afrika, um dort Schulen zu bauen, sowie der Gründung einer Stiftung für Persönlichkeitsentwicklung. Davon und über einiges mehr ist auch auf der Corporate Website zu erfahren, die den Upstaalsboomer Weg für potenzielle Mitarbeiter*innen oder interessierte Unternehmen nach außen trägt.

Der Sinn hat auch hier die Struktur des Unternehmens verändert. Der Bereich Ferienwohnungen ist fast komplett eigenständig von den Mitarbeiter*innen organisiert. Führung wurde neu ausgerichtet auf „Klarheit über den Sinn“ und „Potenziale fördern“. Und es gibt etwa auch Corporate-Happiness-Beauftragte. Im Ergebnis steigerte sich die Mitarbeiter*innenzufriedenheit sowie die Kund*innenzufriedenheit in kurzer die Zeit auf Bestwerte. Und obwohl die Gewinnmaximierung dabei nicht im Zentrum stand, konnte sich der Umsatz verdoppeln, und der Gewinn stieg um 40 Prozent.

Unternehmertum als Verpflichtung für das Gemeinwohl

Das Familienunternehmen Vaude hat eine ähnliche Geschichte. Es wurde 1972 gegründet und produziert Outdoor-Bekleidung. Als Antje von Dewitz 2009 die Geschäftsführung von ihrem Vater übernahm, entschied sie sich, Vaude zu einem nachhaltigen Unternehmen zu transformieren. Das bedeutet, dass sie bei ausnahmslos allen Vorhaben der Firma abwägt, inwieweit es ökologisch, fair und unternehmerisch sinnvoll ist. In der Unternehmensphilosophie heißt es dazu: „Wir verstehen Unternehmertum als Verpflichtung, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.“ Dewitz schlug überzeugt den Weg ein, die Gewinnmaximierung als zentrale Maxime gegen einen nachhaltigen Impact einzutauschen.

Um gänzlich nachhaltig zu werden, war es notwendig, sämtliche Prozesse und die gesamte Organisation danach auszurichten sowie Personal und Expertise dafür aufzubauen. Das bedeutete einen Kulturwandel im Unternehmen hin zu Rollen statt Positionen, ein neues Führungsverständnis sowie eine Vertrauenskultur. Anfangs noch mit einigen Widerständen im eigenen Unternehmen kämpfend, hat Dewitz die Transformation zum nachhaltigen Unternehmen mit ihren Mitarbeiter*innen erfolgreich gemeistert. 2018 erschien die erste Kollektion, deren Materialien zu 90 Prozent aus biobasierten, recycelten oder Naturmaterialien besteht. Im selben Jahr gründete von Dewitz eine Upcycling-Werkstatt, in der Geflüchtete aus Materialresten neue Produkte fertigen. Auch nach außen hin hat sich Vaude als der nachhaltige, innovative Outdoor-Ausrüster positioniert. Und der Erfolg stellt sich ein: Jahrelang ist Vaude auf Erfolgskurs mit jährlichen Wachstumsraten von über acht Prozent. Der Outdoor-Ausrüster liegt dabei immer über dem Branchendurchschnitt. Und auch durch die Corona-Pandemie schafft es Vaude bisher ohne Staatshilfen – anders als Adidas und andere Wettbewerber.

Die Liebe braucht einen wahren Kern

dm-drogeriemarkt, Upstaalsboom und Vaude sind drei Beispiele für eine wachsende Zahl von Unternehmen, die sich zu sinnstiftenden Unternehmen verwandelt haben. Allen gemeinsam sind folgende Punkte:

  • Die Gewinnmaximierung als Unternehmenszweck steht nicht mehr im Zentrum, sondern ein tieferer Sinn auf die Bedürfnisse der Menschen und des Umfelds.
  • Die Zusammenarbeit im Unternehmen wird neu organisiert, eigene Entscheidungsfreiräume und das Thema Führung werden verändert hin zu mehr Eigenverantwortung und Vertrauen.
  • Der Wandel zu einem sinnstiftenden Unternehmen ist von Kommunikation begleitet – zuerst nach innen zu den Mitarbeiter*innen und dann nach außen hin zu Kund*innen, Lieferant*innen und anderen Unternehmen am Markt.

Und letztlich haben sie es geschafft, dass Menschen sich “in sie verlieben”, sich mit ihnen tief verbunden fühlen, ob als Mitarbeiter*innen oder als Kund*innen, ihnen treu bleiben und beste Bewertungen geben. Und deshalb sind sie nicht trotz, sondern wegen dieses tieferen Sinns erfolgreich – gerade wirtschaftlich.

Foto Header: kelly sikke / unsplash
Foto Teaser: erik mclean / unsplash