Buddy Müller #folge10 #gerücheküche

Ich habe ein Blumenkohltrauma.

Schuld daran ist eine ehemalige Kollegin, eine Bildredakteurin, die die atemberaubendsten Bilder suchte und fand. Die den Bildagenturen die ungewöhnlichsten Sonderrechte abtrotzte. Die die wasserdichtesten Nutzungsverträge verhandelte. Die sicher noch viele andere Talente hatte.

Die aber eines überhaupt nicht konnte: kochen.

Selbst aus narrensicheren Rezepten brachte sie Ungenießbares hervor. Und: Sie hatte eine Vorliebe für Blumenkohl.

Etwa zweimal pro Woche zogen aus der kleinen Agenturküche mal weiße, mal dunkle Wolken, wenn sie in der Mikrowelle die reichlichen Reste des Vortags zubereitete. Stets eine olfaktorische Mischung aus Käse, Curry, Béchamel-Soße – und Blumenkohl, dessen durchdringender Geruch selbst von wohlmeinenden Zeitgenossen als mefitisch bezeichnet wurde.

Es gab kein Entrinnen. Mehrere Attentatsversuche scheiterten. Sowohl auf die Mikrowelle als auch auf die Bildredakteurin.

Und so brannte es sich ein: mein Blumenkohltrauma.

Lasagne schmeckt auch kalt

Qwertz ahnte von davon nichts, als er unlängst in meinem Büro stand und um eine Mikrowelle bat. Er wedelte mit einer Plastikdose, rühmte die Kochkünste seiner Frau, speziell die italienischen, und beklagte, dass es bei uns keine Möglichkeit gebe, das Mitgebrachte warm zu machen.

„Lasagne schmeckt kalt eh am besten. Und Pizza erst!“, konterte ich.

Vor meinem inneren Auge sah ich Schwaden von schmurgelndem Blumenkohl aufsteigen und Kunden, die nach Atemmasken verlangen. „Eine Mikrowelle ist ein Kasten mit einem Fenster in eine Welt, die mit elektromagnetischen Wellen abgetötet wurde“, argumentierte ich. So etwas wolle er doch nicht allen Ernstes an die Seite unserer Siebträgermaschine stellen. Rund 80 Euro neben dem Wert eines Kleinwagens – wie sähe das denn aus?

Qwertz ist mein Lieblings-Teamlead. Er hat Eigenschaften, die ich schätze. Zum Beispiel eine gewisse Hartnäckigkeit.

Natürlich stand er am nächsten Tag wieder in meinem Büro. Er kam mit einer anderen Tupperdose – und mit Verstärkung.

„Cheffff“, begann Lila Stiefelchen. Am vierten ‚f‘ hörte ich, dass es Ernst wurde. „Cheffff, ich kann nicht jeden Tag für unsere Kollegen Sushi rollen.“ Das gehe ins Geld, biete wenig Abwechslung und raube den Kollegen jede Individualität bei der Essenswahl.

„Eine Mikrowelle“, führte Qwertz fort, „würde hervorragend in die Küche bei den Digitalen hinten passen. Die hamnoch Platz!“

Erstens, belehrte ich die beiden, heiße es nicht „bei den Digitalen hinten“, schließlich hielten sie sich für das Zentrum allen Seins. Und zweitens, wenn bei den Digitalen hinten neue Technik installiert würde, dann müsste sie iOS-kompatibel sein.

Qwertz und Lila Stiefelchen trollten sich.

Meinen Macbook Air fragte ich: „Brad, ich habe doch recht?“

„Ich bin da raus“, sagte Brad MacCloud vom Clan der MacCloud ungewöhnlich knapp.

„Was soll das heißen?“, hakte ich bei meinem promisken Rechenknecht nach, mit dem ich nicht ganz freiwillig eine Symbiose eingegangen war (siehe #folge5 #monmacàmoi).

Brads blaues Kameraauge glühte mich an: „Mit einem auf einer so niedrigen technischen Entwicklungsstufe stehendem Gerät wie einer Mikrowelle gebe ich mich gar nicht ab.“

Nach kurzer Pause legte er nach: „Sie hat keinen USB, kein WLAN, kein Bluetooth, kein Betriebssystem. Nur ein Türchen zum Auf- und Zumachen und einen Knopf, damit man sie heiß macht.“

Ich wertete das mal als Zustimmung: kein Strahlenkasten für die Agentur.

Mahnwache für die Mikrowelle

Die Reichweite von Mikrowellen in Speisen liegt übrigens bei wenigen Zentimetern. Nicht so bei uns. Da beträgt sie mehrere Stockwerke.

Von unten, von der Straße, hörte ich rhythmische Rufe.

„MI-KRO-WELLE! MI-KRO-WELLE!“, skandierte wohl eine Hundertschaft. Ein Blick zum Fenster hinaus ließ mich an deren Verstand zweifeln: Pappschilder und Spruchbänder wurden emporgereckt, Fäuste gehoben und wütend geschüttelt.

Ich wollte zur Tür – aber da standen schon Qwertz und Lila Stiefelchen, Dr. No sowie Lang und Länger, unsere neuen Volontäre, die so hießen, weil der eine immer lang blieb – und der andere noch länger.

„Wie?“, fragte ich, „Ihr alle …?“

„Wir fordern eine Mikrowelle “, sagte Qwertz.

„MI-KRO-WELLE! MI-KRO-WELLE!“, tönte es auf der Straße.

Ich brauchte Hilfe von oben.

Ich stürzte an meinen Kollegen vorbei, Richtung EmmDee-Büro. Lang hielt mir noch sein Schild „No more Leberkäs“ entgegen, während Länger sein Spruchband „Freie Wahl bei der Mittagsverpflegung – Recht auf eine warme Mahlzeit an einem 12-Stunden-Arbeitstag“ vor mir entrollte.

„Hilfe“, rief ich und kam vor dem Schreibtisch unseres Managing Directors zum Stehen: „Die Kollegen wollen eine Mikrowelle! Eine MIKROWELLE!“

Er blickte von seinem Handy auf, seine Augen suchten einen Punkt irgendwo hinter mir, strahlten. „Schon wieder 37 Follower mehr auf Twitter, Müller, tolle Sache.“ (Siehe auch #folge9 #chefgezwitscher)

Zweiter Anlauf: „Boss, die gehen dafür sogar auf die Straße!“

„Jajaja“, sagte er mit Stolz. „Habe es gerade getweetet. 320 Likes, das ist amtlich, oder?“

Ich fühlte mich so allein.

Flucht ist eine Lösung

Es gibt Situationen, da bleibt nur die Flucht. Oder eine Auszeit. Ich nenne es auch Dienstreise.

Einer glücklichen Fügung war es zu verdanken, dass ich mehrere Termine schnell verbinden und eine schöne Deutschlandreise antreten konnte. Ich kehrte Mikrowellen, Pappschildern und motzenden Kollegen den Rücken.

Ich hätte wegbleiben sollen. Für immer.

Denn als ich zurückkam, roch ich es schon vom Eingang aus. Es lagen keine 20 Meter zwischen mir und unserer Agenturküche, eine Strecke, die ein Mensch in weniger als zwei Sekunden zurücklegen kann. Schneller sind kurz- und langkettige Aromamoleküle, die von heißem Wasserdampf getragen werden.
Vor allem, wenn sie das charakteristische Odeur von Blumenkohl verbreiten.

BLUMENKOHL.

Aus einer MIKROWELLE.

Ich spürte noch, wie mein Puls von 0 auf 180 schoss. Blumenkohl, dachte ich, und sah ihn heiß, dampfend, geschwürartig aus der Küche hervorquellen und von unserer Agentur Besitz ergreifen.

Das Nächste, woran ich mich erinnerte, war ein sauberes, weißes Laken. Rote und blaue Kabel gingen von meinem Körper zu verschiedenen Anzeigen neben dem Krankenbett. Ich hörte ein beruhigendes, gleichmäßiges Piepsen, grüne Kurven und Zahlen schwangen im Gleichklang mit.

„Ein paar Tage werden Sie hierbleiben müssen“, sagte eine Stimme aus dem Nebel; das Gesicht dazu tauchte langsam auf. Qwertz saß an meinem Bett, sprach von „überarbeitet, unterzuckert“ und dass das schon zu Überreaktionen führen könne. „Sie hätten aber die Mikrowelle nicht aus dem Fenster werfen dürfen, Chef.“

Hoffnung keimte in mir auf.

Und erstarb sofort.

„Keine Sorge“, sagte er, „wir haben schon eine neue besorgt.“

Qwertz erhob sich; da stand er nun, blickte auf mich herab, und ich wusste, dass es noch nicht vorbei war.

„Sie werden die Mikrowelle noch schätzen lernen“, sagte er und warf einen prüfenden Blick auf den Krankenhaus-Speiseplan in seiner Hand. Er hielt inne, als wolle er jede Silbe auskosten. „Raten Sie mal, was Sie heute serviert bekommen …“

Wenn Sie für Teeküchen geeignete Kohlrezepte haben oder Vorschläge, wie eine Mikrowelle zerstört werden kann, ohne Spuren zu hinterlassen: bitte direkt an Buddy Müller unter buddy.mueller@profilwerkstatt.de

Alle bisherigen Folgen von Buddy Müller finden Sie auf www.profilwerkstatt.de.

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