Handarbeit in Zeiten von Digital first

Die Blicke sind häufig skeptisch, wenn die Moderatorin des Workshops mit einer dicken braunen Papprolle und einem Koffer bunter Kärtchen den Konferenzraum betritt. In einer Zeit moderner Präsentationstechniken finden das Teilnehmer eher seltsam und aus der Zeit gefallen. Im Interview erklärt Metaplan-Professional Dr. Claudia Klemm, warum dieser Weg aber häufig die bessere Grundlage für den zweiten, dann digitalen Schritt ist.

Sie sind weiß, rot, gelb und grün. Wie von Zauberhand entsteht ein Bild aus den runden, eckigen und ovalen Moderationskärtchen auf der Pinnwand. Hast du dieses Bild und das Ergebnis schon vorher im Kopf?

Dr. Claudia Klemm: Nein und auch wieder ja. Nein, weil das bedeuten würde, dass ich vorher schon genau wüsste, wie sich eine Diskussion entwickelt. Das ist natürlich nicht so. Dann wäre ich als Moderator nicht mehr offen für Nachfragen, für die Dinge zwischen den Zeilen, für die unerwarteten Meinungen und Aspekte. Aber auch ja. Denn natürlich habe ich die Frage in der Vorbereitung mit Bedacht formuliert und mir Gedanken gemacht, an welcher Stelle in einem Workshop ich sie anbringe, um am Ende ein bestimmtes Ergebnis zu bekommen. Da jede Karte eine Funktion in der Visualisierung der Diskussion einnimmt, helfen mir die Formen und Farben dabei, den Überblick zu bewahren.

Wäre das mit einem Programm wie Mindmap nicht einfacher? Die Aussagen sind schnell getippt, für Diskussionen neue Äste angelegt und ich kann das Ergebnis direkt verschicken – ohne Papprollen, Kartenberge und Kleber.

Wenn man einfach nur Gedanken lose festhalten will, dann ist das sicherlich auch ein Weg. Aber oft ergeben sich in der Diskussion neue Richtungen. Was eben noch ein Unterpunkt auf der dritten oder vierten Hierarchie-Ebene war, wird plötzlich zum Hauptthema gehören. Andere, in einem anderen Zusammenhang genannte Punkte, gehören dann auf einmal auch dazu. Das digital umzubauen, ist live nicht möglich, ohne die Diskussion zu unterbrechen. Ich hänge dann einfach die Kärtchen zusammen und gebe ihnen das Gewicht, das sie in der Diskussion eingenommen haben. Außerdem lässt sich analog die Gruppe besser aktivieren. Ein paar Stifte und Karten reichen aus – und schon können einzeln oder in Kleingruppen neue Ideen entstehen, die dann die Diskussion im Plenum bereichern.

Ganz schön viel Arbeit, was da in einem Workshop passiert. Wie behältst du da den Überblick?

Wie so vieles ist auch das Übungssache. Anstrengend bleibt es aber auch nach mehreren Jahren. Eine gute Vorbereitung ist das A und O. Das unterschätzen viele, die nur zehn oder zwölf Pappen sehen – die Hälfte davon fast leer. Aber neben den geplanten Inhalten habe ich als Moderatorin auch immer einen Plan B im Kopf. Das kann einfach nur eine alternative Frage sein oder auch eine komplett andere Arbeitsform. Und während der Diskussion läuft im Gehirn vieles gleichzeitig ab: dem aktuellen Redner zuhören, mit einem halben Auge darauf schauen, was der Kollege auf die Karte schreibt, die Nachfrage an den Vorredner nicht vergessen und dann auch noch überlegen, ob nicht ein Bezug zu einer vorangegangenen Diskussion lohnenswert sein könnte. Dazwischen ein kurzer Blick auf die Uhr, damit nach drei oder vier Stunden auch ein erstes Ergebnis feststeht.

Und was bringt es letztendlich dem Unternehmen?

Die meisten Teilnehmer sind überrascht und begeistert davon, was mit Hilfe von Moderation und Moderationstechnik erarbeitet worden ist. In vielen Workshops werden Dinge offensichtlich, die aus der jeweiligen Einzelperspektive zugespitzt so nicht formuliert werden konnten. Ein Beispiel: Auf die Frage, wie ein Unternehmen von seinen Kunden wahrgenommen werden soll, werden zahlreiche und vor allem unterschiedliche Antworten gegeben. Aber mit 20 Eigenschaften kann niemand vernünftig arbeiten. Welche sind wichtig? Welche nicht? Und vor allem: Welche sind über mehrere Abteilungen übergreifend wichtig? Im Workshop lassen sich die Eigenschaften über ein Punktesystem priorisieren, das von allen mitgetragen wird. Der Fokus der künftigen Ausrichtung steht fest. Das ist ein großes Plus in der Umsetzung. Gelingt ein solcher Aha-Effekt, dann ist die Skepsis weg und niemand ist am Ende traurig, dass es mal keine Digitalvorstellung war. Digital kommt dann wieder zum Einsatz, wenn es darum geht, Ideen zu präsentieren. Doch diese Ideen würde es ohne den analogen Weg über die Karten oft gar nicht geben.