Instant Articles: Zwiebel schälen

Die äußerste Schicht: Schneller, schöner, spannender!

Acht Sekunden soll es durchschnittlich dauern, bis sich ein Artikel, der auf Facebook als Linkpost im Newsfeed angezeigt ist, auf einer neuen Seite geladen hat. Zu langsam für die schnelle Welt der kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Das ist der Grundgedanke der Instant Articles: Wer als Verlag auf Facebook seine Artikel veröffentlicht, bindet die Leser. Facebook stellt die Plattform bereit, die Verlage dürfen sie mit Inhalten befüllen, wie sie wollen. Und dabei sind ihnen kaum Grenzen gesetzt: Videos, scrollbare Grafiken, Bilderstrecken – alles, was man sich als Redakteur an begleitenden Formaten wünscht, soll möglich sein. Auf einer eigens erstellten Microsite zeigt Facebook die Möglichkeiten dafür auf. Der erste Artikel von National Geographic sei, so notierte ein Blogger überschwänglich „vielleicht der beeindruckendste Mobile-Lesetext, den ich jemals gesehen habe.“

Die zweite Schicht: Reichweite triumphiert über Bezahlschranke

Der Trumpf von Facebook? Reichweite. 1,4 Milliarden aktive Facebook-Nutzer weltweit. 30 Millionen Nutzer in Deutschland. Auch wenn nicht alle diese Personen einen bestimmten Instant Article zu sehen bekommen: Welche Zeitung kann von so einer Auflage träumen? Eben. Auch wenn der genaue Einfluss von Weiterleitungen auf Artikel über Facebook umstritten ist: Die neun bislang beteiligten Verlage konnten dem Lockruf der Reichweite nicht widerstehen, und sprachen auch gleich von „neuem Publikum“ das „erschlossen“ werden könne. Nebenbei hat „Reichweite“ dabei auch den ersten Boxkampf gegen Bezahlmodelle gewonnen: Die New York Times, weitbeachtete Vorreiterin in Sachen Bezahlschranke, hob im Mai ihre Mobile-Bezahlschranke auf – und ist jetzt einer der neun Vorreiter in Sachen Instant Articles. Punktsieg für Facebook, zumal gar nicht auszuschließen ist, dass das Unternehmen die aktuell sehr günstigen Konditionen für die Verlage nachverhandelt, sollte sich der Erfolg einstellen.

Die dritte Schicht: (R)evolution des Journalismus?

Was aber heißt das, wenn einzelne Artikel plötzlich theoretisch immense Reichweiten gewinnen können, alle von derselben Plattform aus? Die ersten zwei Zwiebelschichten hatten suggeriert, dass Verlage ihre Leser besser binden und neue Leser erschließen. Tatsächlich darf man diese Annahme auch umdrehen: Wenn Inhalte direkt über Facebook erreichbar sind – wen schert es dann noch, aus welchem Verlag diese Inhalte kommen? Wenn einzelne Artikel über unternehmensgesteuerte Algorithmen in die Timeline gespült werden – verlieren dann die Medienhäuser nicht zwei ihrer wichtigsten Funktionen? „Gatekeeper“ zu sein und für das Publikum zu entscheiden, was wichtig ist, und unter der Flut der Nachrichten die richtige Mischung zu finden. Oder ist das ohnehin altmodisch, und der Nutzer der Zukunft stellt sich sein komplettes Medienmenü eben selbst zusammen? Es sieht aktuell danach aus, auch wenn das Fragen aufwirft, wie sehr wir künftig im eigenen Saft schmoren (Stichwort: Informationsblase). Für Werbung und Marketing allerdings ein verlockender Gedanke: Zielgenau ansteuerbare Interessenten.

Die vierte Schicht: Content is king, baby!

Nachdem mit der dritten Schicht eine gepfefferte Prise Kulturpessimismus hinter uns liegt, lässt sich die Sache aber auch ganz anders deuten: Artikel, die sich voll und ganz auf Inhalt konzentrieren, angereichert mit Zusatzelementen wie Infografiken und Videos? Das ist der große Trend der Zukunft? Gibt es eigentlich ein stärkeres Argument für – Content! Tatsächlich sind die ersten Versuche der Instant Articles allesamt enorm aufwändig gemachte Lesestrecken, von denen einige erstaunlich ausführlich sind. Nicht gerade das, wovor manche seit Jahren warnen: immer kürzere Videoclips, Diskussionen in 140 Zeichen und der Siegeszug der knappen Online-News. Möglich, dass sich das ändert, sobald das Alltagsgeschäft schnellere Produktionsrhythmen verlangt. Andererseits geht es ja auch genau darum: Echte Inhalte als Premium-Projekt um darin Werbung einzubetten. Denn auch das ist der Lockruf von Facebook: Die Verlage dürfen in ihrem Umfeld alle Werbeeinnahmen komplett behalten – oder die Platzierung für 30 Prozent Beteiligung Facebook überlassen. Verlockend.

Die fünfte Schicht: Offene Grenzen für Werbeprojekte

Werbung? Werbung. Wenn Reichweite über Bezahlmodelle siegt, dann muss Reichweite irgendwie Geld verdienen. Facebook hat zwar sehr genau festgelegt, welche und wie viel Werbung in den Artikeln geschaltet werden darf (bis hin zur exakten Größe der Banner und der Vorgabe „nicht mehr als vier Werbebanner pro Artikel“), aber im neuen Schwimmbecken der Instant Articles klingt selbst diese Regeln wie eine Befreiung –im Vergleich zur relativ starr definierten Werbeumgebung von Facebook selbst. Möglich ist da so einiges. Von der „animierten Version der klassischen Print-Anzeige“ bis hin zu etwas, das „Instant Advertising“ sein könnte. Klar ist: In diesem Feld steckt noch jede Menge Entwicklungspotential für kreative Köpfe.

Was tun mit den Schalen?

Zwiebelsuppe gefällig? Oder Zwiebelsalat? Wohin die Reise mit Instant Articles geht, ist aktuell offen. Da lohnt es sich, ein Auge drauf zu haben. Mit kritisch-neugierigem Abstand (bei Zwiebeln immer eine gute Idee). Facebook dürfte in der Anfangsphase wenig Interesse daran haben, die Artikel auch für Agenturen und Unternehmen zu öffnen, sonst geht eines der stärksten Argumente für die Verlage verloren – die Werbung. Aber in der Zukunft könnten Instant Articles oder ein daraus wachsendes Format eine ganz wunderbare Spielwiese für Content Marketing werden. Die Zutaten dazu sind auf jeden Fall vorhanden.