Buddy Müller #folge11 #zukunftderzunft

Weiße Webseiten? Virale Aktionen in Overalls vor Hochschulen? Eine konzertierte Gemeinschaftsaktion der größten Agenturverbände Deutschlands?

Kann man alles machen.

Muss man alles machen. Um High Potentials für das Leben in einer Agentur zu begeistern.

Denn Jobs, ganz gleich in welcher Kommunikationsdisziplin, sind derzeit so beliebt wie ein Pickel auf der Stirn beim ersten Pitch.

Um Nachwuchs zu finden und zu binden, muss man selbst ran an den Mann. Auch „ran an die Frau“, aber das reimt sich nicht. … Das gibt nur eine halbstündige Diskussion mit unserer Gender-Neutralitäts-Beauftragten. Die ich gerne mal auf einen Sundowner einladen würde … Aber ich schweife ab.

Nachwuchs finden und binden ist ein Job für die Besten. Also für mich, Buddy Müller, Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

Deswegen schnappte ich mir neulich unsere zwei neuen Volontäre, Lang und Länger, die so hießen, weil der eine immer lang blieb und der andere noch länger. Sie saßen früh am Morgen, so gegen zehn, mit mir in unserem gläsernen War Room. Die Wände waren verklebt mit Ideenskizzen, Post-its und Ausdrucken unserer siegreichen und weniger siegreichen Präsentationen.

„Guten Morgen, die Herren“, begrüßte ich die beiden. „Schon eingelebt?“

„Moin!“, sagte Lang. Was ich als ‚Ja‘ interpretierte.

„Guten Morgen, Herr Müller. Danke der Nachfrage: Die Kollegen haben uns sehr schnell aufgenommen und uns wahrlich jede Menge zu tun gegeben“, sagte Länger.

„Die Grundlagen hat Ihnen aber noch keiner beigebracht?“, fragte ich. „Mögen Sie Kaffee?“

„Ja“, sagte Lang.

„Gerne, vor allem die milderen Dry-Aged-Sorten sind überaus wohlschmeckend“, sagte Länger.

„Warum kochen Sie dann keinen?“

„Sein Job“, sagte Lang und wies knapp in Richtung Länger. Ich notierte im Geiste: Delegieren kann er.

Keine zehn Minuten später hatte ich einen tief schwarzen, fein duftenden Lungo vor mir, den Länger unserer Siebträgermaschine abgetrotzt hatte, ohne sich dabei zu verletzen.

Zumindest nicht ernsthaft.

„Na also. So macht man das“, sagte ich. Das war ein Lob.

Flacher geht‘s nicht, rein hierarchisch

„Beginnen wir mit den Basics“, sagte ich bedeutungsschwanger. „Habt ihr euch schon eine Musik ausgesucht?“

Jeder unserer Mitarbeiter hat eine individuelle Warteschleifenmusik – seit ich eine Initiative gegen das einfältige Gedudel in unserer VoIP-Anlage gestartet hatte. Mit Erfolg, sehr großem Erfolg sogar (#folge2 #musicwasmyfirstlove).

„‚Legendary‘“, sagte Lang.

„Bitte, Herr Müller, ich hätte gerne ‚Objects in the rearview mirror appear closer than they are’“, sagte Länger.

„Wir nehmen ‚Absolute Beginners‘“, entschied ich. „Für beide.“

Eine kurze E-Mail an die IT-Administration, dann wandte ich mich wieder der Basisarbeit zu. Zuerst klärte ich Lang und Länger über unsere flachen Hierarchien auf – ganz oben stand der liebe Gott, dann kam der internationale Vorstand, dann lang und länger nichts, dann der EmmDee, der Managing Director und seine prohibitiv veranlagte Assistentin Dr. No (wobei die beiden sich über ihre Reihenfolge nie ganz einig waren).

„Und dann“, sagte ich, „dann kommen viele Stufen und Funktionen, über- und nachgeordnet. Aber eigentlich haben die alle nichts zu sagen.“ Flacher ginge eine Hierarchie kaum.

„Außer einem“, sagte ich. „Der bin ich.“

Lang warf mir kurz einen zweifelnden Blick zu, während Länger eifrig die beige-gelben Seiten seines Notizbuchs vollschrieb.

Langs Blick merkte ich mir für später.

Selbstfindung auf dem Server

Bei den Details unserer Strukturen verwies ich auf das Virtual-Welcome-Package. Da stünde alles: Workflows; Prozesse; Templates; eine Anleitung, wie die Agentursoftware funktionierte (wenn sie denn funktionierte); sowie die elektronischen Versionen von „Deutsch für Profis“ und „Kommasetzung trotz Social Media“.

Lang nickte nur, während mich Länger fragte: „Bitte, Herr Müller, wo finden wir denn das wertvolle Virtual-Welcome-Package?“

„Das liegt auf dem Server.“

„Wo bitte denn genau, Herr Müller?“

„Findet es heraus“, sagte ich. „Ihr wollt doch Journalisten werden, oder?“ Musste man den jungen Leuten von heute alles erklären? Schon mein eigener Mentor, der sich für eine Reinkarnation von Jack London und Zar Peter dem Großen in einem hielt, hatte mir einst eingebläut: Komm mir nicht mit Problemen, komm mir mit Lösungen.

„Wenn Du´s gefunden hast“, sagte Lang zu Länger, „schick´s mir rüber.“

Immerhin. Auch das war eine Lösung. Zumindest einer der beiden lernte schnell. Das war auch wichtig in einer Agentur wie der unseren, mit so langer Historie, immerhin hatten wir Content Marketing erfunden, zumindest miterfunden, wenigstens den Weg geebnet. Da braucht es High Potentials mit dem richtigen Riecher für einzigartige Storys in allen Kanälen, für Hingucker in der visuellen Umsetzung und für den richtigen Tonfall beim Kunden.

Dann, so schwärmte ich Lang und Länger vor, stünde einem Karrierebeginn und einem schnellen Aufstieg nichts im Wege.

„Mega“, sagte Lang.

„Herr Müller, Sie können sich zu 100 Prozent auf unser Engagement, unser Wissen und unsere Loyalität verlassen“, sagte Länger.

„So ein Alpha-Kevin“, murmelte Lang.

„DAS HABE ICH GEHÖRT, DAS NIMMST DU SOFORT ZURÜCK! ICH LASS´ DIR VON MEINEM ERZEUGER EINE UNTERLASSUNGS-ERKLÄRUNG SCHICKEN“, rief Länger.

„Chill‘ mal“, sagte Lang.

Bevor die Lage zu einem Handgemenge eskalieren konnte, lenkte ich die beiden ab, unter anderem mit meiner Ankündigung, dass ich Antworten geben würde auf die menschheitsbewegenden Fragen „Was ist ein Konzept?“, „Wie kalkuliere ich ohne Briefing?“ sowie „Woran erkenne ich einen Schein-Pitch?“. Allerdings erst in den folgenden Meetings.

Traumdeuter notwendig

Das offensichtliche persönliche Engagement von Lang und Länger nährte in mir die Hoffnung, zwei Überzeugungstäter vor mir zu haben.

„Was hat Euch für den Agentur-Job begeistert?“, fragte ich voll Zuversicht.

„Geld“, sagte Lang.

Eine Vollbremsung.

„Wenn es früher hieß, ich will was mit Medien machen, Herr Müller“, sagte Länger, „dann heißt es heute, ich will was mit Content machen. Ich will mit meiner Arbeit Menschen begeistern. Ich will meine Rezipienten überraschen und bewegen. Ich will, dass meine Auftraggeber mich für meine Beiträge schätzen, dass sie mich mit Respekt ansehen und als echten Partner für ihre Kommunikation behandeln. Das ließ mich diese Berufswahl treffen.“

Ich fragte mich: Waren die Jungs schon mal beim Traumdeuter gewesen?

Durch die Ritzen der Powerpoints an den Glaswänden sah ich Lila Stiefelchen und Qwertz am Kopierer stehen. Meinem Lieblings-Teamlead stand nicht nur der Tastaturschlaf auf der Stirn, sondern auch der Hoffnungsschweiß auf einen Drink mit unserer Controlling-Praktikantin. Die nur allzu bereitwillig auf meinen Wink reagierte und schnell zu uns in den War Room wechselte. Qwertz trottete hinterher.

„Sagen Sie den beiden hier, was Sie in die Agentur gebracht hat. Die brauchen einen Realitätsschub.“

„Tja“, begann Stiefelchen, „zuerst wollte ich Biogenetik studieren …“

„… dann haben Sie festgestellt, dass Ihnen das Secco-Glas besser steht als das Reagenzglas, ha, ha?“, scherzte ich.

Vielmehr versuchte ich einen Scherz. Niemand lachte mit. Auch nicht Länger.

„Fail“, sagte Lang.

„Epic Fail“, sagte Länger.

Das würde ich mir auch für später merken. Sofern es ein Später geben würde.

„Cheffff …“, zischte Lila Stiefelchen. Sie bebte, hob an, überlegte es sich anders – und tötete mich mit ihrem Blick, bevor sie auf ihrem halben Quadratzentimeter Absatz herumwirbelte und hinausschoss.

„Tja, da wird sich unsere Gender-Beauftragte aber freuen, Sie wiederzusehen“, kommentierte Qwertz. Und den Sundowner mit ihr, dachte ich, den konnte ich wohl vergessen, bis die Sonne wirklich für immer untergegangen war.

Ablenkung ist in solchen Situationen das oberste Gebot. „Sie, Qwertz, warum sind Sie zu einer Agentur gegangen?“, fragte ich.

„Weil ich nichts Gescheites gelernt habe“, antwortete mein Lieblings-Teamlead entwaffnend. „Wenn man von allem nur ein bisschen kann, davon aber zwei Stunden erzählen, dann ist man hier doch genau richtig.“

Jetzt war es langsam gut. Ich schob ihn zur Tür hinaus. „Warum probieren Sie es nicht ab nächstem Monat mal auf Kundenseite oder in der Politik, mit Ihren Talenten!“

Sie hatten verstanden

„So hat wohl jeder seinen eigenen Antrieb“, sagte ich und ordnete meine dünne, schwarze Strickkrawatte. Bevor Lang und Länger zum Nachdenken kamen, forderte ich sie auf: „Rekapitulieren wir: Was braucht man, um in einer Agentur erfolgreich zu werden?“

Länger holte lang Luft.

Ich war mir sicher, dass er seine Lungen vollpumpte, um zu erzählen, dass man Wissen und Gefühl brauche für Marken, Märkte und Zielgruppen, für Storys, Medien und Kanäle und für die Wirkung der Inhalte. Dass es darum gehe, Leuchtturm-Medien zu erschaffen, dass jedes Projekt das vorangegangene übertreffen und reichlich Awards gewinnen müsse – bei steigender Rentabilität, natürlich. Dass man sich auf jedem Parkett sicher bewegen müsse und sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lassen solle, nicht durch Chefs, nicht durch Kollegen, nicht durch Kunden …

Doch Lang hob nur den Finger – und Länger zog es vor zu schweigen.

„Be cool“, sagte Lang zu mir gewandt. „Be Batman.“

„Ich sehe, Ihr habt es kapiert“, sagte ich. „Ein Job in einer Agentur ist der geilste Job der Welt.“

Haben Sie auch ein Händchen für den Agentur-Nachwuchs? So macht man das. Und wenn nicht: Fragen Sie einfach Buddy Müller unter buddy.mueller@profilwerkstatt.de
Alle bisherigen Folgen von Buddy Müller finden Sie auf www.profilwerkstatt.de.

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