Buddy Müller

#folge6 #prinzipdobermann

Manche Dinge ändern sich nie. Immer, wenn dem EmmDee, unserem Managing Director, nichts mehr einfällt, schickt er uns auf ein Training.
Kaffeemaschine in der Agenturküche nicht gereinigt? Ab ins Seminar: „Glücklich am sauberen Arbeitsplatz“ mit Teambuilding-Maßnahme „Wettabspülen im Café Dallmayr und Besichtigung der Rösterei“.
Pärchenbildung in Teams? Sofort ins Seminar: „Wenn der Ex mit der Ex vom Ex“. Teambuilding-Maßnahme, unbeabsichtigt, ein One-night-stand und eine weitere Paarbildung.

Ich habe schon viele Seminare er- und überlebt. Mein Name ist Müller. Buddy Müller. Ich bin Senior Project Supervisor in der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands. Mein Job ist hart. „In time“ ist mein zweiter Vorname, „in budget“ mein dritter. Und meine Aufgabe ist auch, dafür zu sorgen, dass unsere Teams aus ihren Seminaren wirklich, also wirklich, wertvolle Hilfen mitnehmen.

Erst Panik, dann Pauken

Wie jedes Jahr so hatten auch in diesem September die Maßkrüge des Oktoberfests die EYP eingeläutet – die End-of-year-Panic. Unser Aufsichtsrat in London erwartete im letzten Quartal die Zahlen und die Vorschau aufs Jahresergebnis.

Ebenso wie der Eintritt der EYP war vorhersehbar, dass unsere Zahlen nicht passen – inklusive wiederkehrender Symptome wie unausgeschlafene Executives, minütliche Stimmungsschwankungen bei den Directors, sowie stapelweise Altpapier mit Wasserfallcharts.
Das heißt, die Zahlen hätten schon gepasst, hätte der Aufsichtsrat die Ziele realistisch gesetzt. Aber von sämtlichen Realitäten unbeeinflussbar sollte pro Jahr das doppelte Wachstum im Vergleich zum Marktwachstum erreicht werden. Locker.

„Müller”, klingelte der EmDee bei mir durch, „mir fällt nichts mehr ein.“ „Kein Problem“, sagte ich. Und mein testosterongesteuertes Notebook bekam einen neuen Auftrag: „Brad, such mir die schnellstmögliche Weiterbildungsmöglichkeit. Akquise, Vertrieb, Verkauf, so in der Art.“

„Du beleidigst meine Schaltkreise“, maulte mein Notebook. „Ich bin Brad MacCloud vom Clan der MacCloud. Das ist keine Aufgabe für mich. Meinen Namen nennen weltweit Serverfarmen mit Ehrfurcht, Millionen von RechnerInnen wollen ihre Daten austauschen, der …“

Ich stoppte den digitalen Egomanen: „Spar dir deine Stromstöße für das neue Notebook von Sales.“

Keine zehn Minuten später mailte ich dem EmmDee einen Seminar-Vorschlag.
Keine zwei Wochen darauf saß ich zusammen mit 15 anderen Helden von der Kundenfront in „The Dobermann-Principle. So kommen Sie an das Geld ihrer Kunden.“

Ich zwängte mich zwischen Qwertz, meinem Teamlead, und Lila Stiefelchen, unsere hoffnungsvolle Controlling-Praktikantin. Selbstlos wollte ich verhindern, dass Qwertz, dem wieder der Tastaturschlaf ins Gesicht geschrieben stand, sich durch Balzverhalten von lohnenden Lehrinhalten ablenkte.

Die G´schicht´ vom toten Hund

Die Vorstellungsrunde fiel kurz aus, wohl weil wir das Drei-Tages-Programm aus Kostengründen auf vier Stunden zusammengestrichen hatten. Schnell Post-its auf die Stirn geklebt, dann heiteres Raten von Namen und Erwartungen, unterbrochen von Zwischenrufen wie „Da steht nicht Quarks“ oder „Ich trage auch Ballerinas“ – nach fünf Minuten waren wir durch.

Der Seminarleiter versprach uns – unsere Wünsche ignorierend – die neusten Geheimnisse des Storytellings, mit denen wir unsere Kunden zum Beauftragen animieren sollten. Lila Stiefelchen machte große Augen, und ich gab ihr die Antwort auf die ungestellte Frage: „Storytelling“, flüsterte ich, „heißt: Wie erzähle ich die G´schicht´ vom toten Hund?“

Qwertz sekundierte um Anerkennung heischend: „Und Content Marketing ist, mit der G´schicht´ vom toten Hund den toten Hund zu verkaufen“.

Die gut gemeinte Nachhilfe brachte uns dreien eine disziplinarische Sofortmaßnahme ein – wir scheiterten im Rollenspiel, beim fiktiven Kunden das „Business Issues Spotting” durchzuführen und einen „Vision Match“ zu erzielen.

Der Seminar-Chef triumphierte: „Ohne Sponsor Identification wisst ihr auch nicht: Where is the beef?” Er ging dann eine Stunde der Frage nach, wer darauf aufpasse: „Who is the Dobermann?”

Überliste den Dobermann!

Ich fragte mich a) ob Dobermann auch auf Englisch so heißt und b) ob man den Dobermännern nicht zuweilen unrecht tut. Als Gebrauchs- und Wachhunderasse sind sie seit fast 130 Jahren sehr beliebt. Sie sollen ein „mittleres Temperament“ haben – allerdings auch eine „mittlere Reizschwelle“. Das prädestiniert sie dafür, bei der Jagd zur Bekämpfung des Raubwildes eingesetzt zu werden. Was uns zu den Ausführungen des Seminar-Chefs zurückbrachte. Nichts sei so schwer und so einfach zugleich, dozierte er, als „Hunter“ den „Budget-Owner“ zu finden und zu überzeugen. Man müsse nur eine „Solution Strategy“ erarbeiten, wie der Dobermann zu überlisten sei.

Mit „Lunch is for loser“ sparte der Trainer die Mittagspause weg und teilte uns zur „Break-out-Session“ in Gruppen ein. Noch bevor ich an einen Ausbruch denken konnte, erarbeiteten wir eine „Value Selling Position“, die in einen „Customized Business Case“ und schließlich in einen „Solution Brief“ münden sollte. „Das ist ein Living Document“, deklarierte der Seminar-Chef, „das sicher den Client Approval bekommt“.

Aber wir haben kein Eitschahr.

Die Teambuilding-Maßnahme entwickelte sich diesmal spontan aus dem abschließenden „Wrap-up“. Denn nichts eint so sehr wie gemeinsame Ratlosigkeit. Vor allem nach vier Stunden Unterricht in offensivem Verkaufsenglisch.

„Wir waren neulich bei einem Mittelständler“, eröffnete Teamlead Qwertz die Runde. „Der sagte: Wir haben kein Eitschahr. Bei uns heißt das Personalabteilung.“

Das war´s dann mit Dobermann, Solutions und Approval: Manche Kollegen stimmten höhnisches Hundegeheul an, andere kläfften, und als der Trainer zurückschnappte: „Dann müssen Sie wiederkommen, wenn Ihr Kunde besser vorbereitet ist“, sprintete die Gruppe geschlossen aus dem Raum.

Die postseminare Depression ertränkten wir auf dem Oktoberfest. Der pure Zufall wollte es, dass wir in unserer Firmen-Box auf den Aufsichtsratsvorsitzenden aus London stießen, der ein paar Tage früher angereist war, „um sich mit den Örtlichkeiten in München besser vertraut zu machen“. Maß um Maß verging, zuerst konnte der Aufsichtsrat nicht mehr sitzen, dann nicht mehr schunkeln, dann nicht mehr stehen, und das Thema Jahresabschluss wurde auf den März geschoben.

„Müller“, sagte der EmDee, zu mir, als ich mich am nächsten frühen Nachmittag wieder an die Helligkeit des Tageslichts gewöhnt hatte, „Müller, ich sag´s ja: Seminare bringen wirklich was!“

Ich knurrte nur – wie ein Dobermann.

Über Anregungen zu Seminaren oder wie jetzt doch noch für 2017 ein Platz auf dem Oktoberfest zu ergattern ist, freut sich Buddy Müller unter buddy.mueller@profilwerkstatt.de

Alle bisherigen Folgen von „Buddy Müller “ finden Sie auf www.profilwerkstatt.de.

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