Buddy Müller

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Folge 1: Tickets für Tosca

Morgens halb zehn in Deutschland. Die Siebträgermaschine mit dem Preis eines Kleinwagens zauberte mir einen Cappuccino. Schokostaub zeichnete auf dem Milchschaum das Logo unserer Agentur. Durch die Loftfenster fielen kräftige Sonnenstrahlen, formten selbst die Betonkunst am Empfang zu wunderschönen Kreationen des Agenturalltags. Von vergangener Nacht war noch der Musikserver an; kubanische Klänge begleiteten meine federnden Schritte zu meinem Eiermann-Schreibtisch. Sanft knirschte dabei das Känguruleder meiner R.M. Williams Boots …

SCRATCH! Als hätte jemand die Nadel über die Rillen einer Vinylplatte gezogen, riss mich der Anblick eines Teamleiters aus den Träumen.

Mein Name ist Müller. Buddy Müller. Ich bin Senior Project Supervisor in der weltweit führenden Content-Marketing-Agentur Deutschlands. Mein Job ist hart. „In time“ ist mein zweiter Vorname. „In budget“ mein dritter. Meine Aufgabe: dafür sorgen, dass unsere Teams Kunden glücklich machen. Und die Teams dabei glücklich bleiben.

Sammelruf für High Potentials

Ich legte dem schlafenden Teamlead meine Hand auf die Schulter und zog ihn hoch. Nach einer Nacht auf der Tastatur hatte sich das Buchstabenmuster in sein Gesicht eingeprägt. „Qwertz“, raunzte ich, „Schluss mit dem Päuschen. Ist das Angebot fertig?“

Rotgeränderte Augen starrten mich an. Das Gehirn dahinter versuchte mich zu erkennen, und als dieser Prozess endlich einsetzte, weiteten sich die Pupillen. Qwertz suchte zwei, drei Ausdrucke von seinem Schreibtisch zusammen, hielt sie mir hin und murmelte: „Alle Gewerke noch mal durchgerechnet, müssen wir heute hochladen.“

Ich gönnte ihm eine kleine Verschnaufpause; es war ja noch früh am Morgen. Dann sagte ich: „Uiuiuiuiuiui“, wohlwissend, dass das bedeutungsschwangere Aneinanderreihen einer einzelnen Silbe wie ein Sammelruf wirkte. Keine zehn Sekunden später hatten sich seine Leute um ihn versammelt, allesamt hochqualifizierte Praktikanten, darunter ein promovierter Sinologe und ein Master der Biochemie – echte High Potentials.

Zahlen so gar wie roher Fisch

Ich hoffte laut, dass keiner Überstunden angeordnet hatte, worauf Qwertz mich an meine Entscheidung von gestern Nacht erinnerte, mit der ich die Kalkulation gekippt hatte. Nun, konterte ich, erstens seien die Zahlen so gar wie roher Fisch und zweitens auch so attraktiv gewesen: „Hättet ihr euch wirklich aus dem Pitch preisen wollen?“, fragte ich in die Runde. „Ihr wisst schon, was auf dem Spiel steht?“

Ich blickte von Gesicht zu Gesicht. In den Augen der Teammitglieder standen zwei Worte: mein Arbeitsplatz.

Sie hatten kapiert.

Natürlich hatte noch niemand mit dem Kunden die Zahlen vorbesprochen, geschweige denn beim Einkauf angerufen. Qwertz protestierte schwach, dass die Zahlen von heute Nacht seien und wir aus Compliance-Gründen gar nicht anrufen dürften. Typisch. Wer Ausreden sucht, ist nur zu faul zum Regelnbrechen. Immerhin ging es um einen Drei-Jahres-Auftrag bei einem internationalen Konzern für Scherenhubtische.

Seufzend ließ ich mich auf den Recaro-Drehstuhl hinter meinem Eiermann fallen. Ein letztes Nippen am Cappuccino, dann fischte ich mein iPhone aus meinem Sakko.

„Ich zeige euch jetzt, wie man das macht.“

Nur dreimal Melodie, dann hatte ich sie dran, die Einkäuferin.

„So macht man das.“

„Jaaa, schönen guten Morgen“, setzte ich an und schob noch ein paar wohlklingende Grußformeln sowie Anspielungen zum trockenen Wetter und zu trockenen Zahlen nach. „Ich rufe an wegen unserer Kalkulation, die wir heute ins Pitchportal hochladen sollen.“ Natürlich sei alles fertig, keine Sorge, nur so wichtige Dinge würden sich doch persönlich besser besprechen – und auf alle Fälle vor dem Pitch.

Ich grinste in die Teamrunde. „So macht man das.“

Ich zählte bis fünf, dann sprach ich wieder ins Handy. Absolut, absolut, natürlich sei ich da ganz bei ihr, jajajaja, ich hätte auch nur die kleine Frage, ob sie denn heute Abend Zeit hätte, um die Zahlensäulen genauer zu betrachten, vielleicht bei einem Glas Shiraz. Nein, nicht zum Essen, in der Pause, denn zufälligerweise hätte ich Karten für Tosca. Dann ließe sich das Angenehme doch gleich mit dem Nützlichen verbinden.

Die Einkäuferin entgegnete etwas.

„Ach was!“, rief ich. „Kaum zu glauben! Ihre Tochter heißt Tosca?“ Ja, flötete ich ins Smartphone, wunderbar sei das, so ein Zufall, dann nähmen wir sie doch auch mit, natürlich, in die Oper, auf ein Glas Wein auch, nicht zum Essen.

Das Team hing an meinen Lippen.

Aus meinem Handy wurden Wortgeschosse abgefeuert. „Nein, nein, sicher nicht …“, versuchte ich die Feuerpausen zu nutzen, „ich … ich bitte Sie! … Nein. Ja. Natürlich habe ich die Compliance-Regeln gelesen. Und unterschrieben. Natürlich … Nur ein schönes Konzert … schöne Musik … Schöne … Nicht anrufen, ja … Wettbewerbsgleichheit … Wie? Ausgeschieden? Aber … Aber … Ja … Ja … Nein. Ja. Dann nicht. Gut. Vielleicht beim nächsten Mal. Ja. Wiederhören.“

Ich warf mein iPhone auf die Kalkulationsblätter. Stille machte sich breit.

Kurz durchatmen. Dann blickte ich hoch.

„Leute“, sagte ich, „da könnt ihr mir echt danken. Haben wir gerade nochmal Glück gehabt. Gut, dass ich nachgehakt habe. Mit solchen Kunden wollen wir nicht arbeiten. Da stimmt die Chemie einfach nicht. Habe den Pitch abgesagt. Habt ihr ja gehört.“

Auf Anregungen aus der Wirklichkeit freut sich Buddy Müller unter buddy.mueller@profilwerkstatt.de